European Chemistry Partnering 2024
Gelungener Neustart im DECHEMA-Haus
Nach vier Jahren pandemiebedingter Abstinenz ist das European Chemistry Partnering (ECP) 2024 wieder nach Frankfurt am Main zurückgekehrt. Im DECHEMA-Haus waren am 6. Februar über 250 Teilnehmerinnen und Teilnehmer in Präsenz dabei. An den beiden Onlinetagen am 20. und 21. Februar sind weitere 50 Gäste dazugestoßen, um miteinander zu „partnern“.
Über 600 Partneringgespräche vor Ort, 40 kurze Unternehmenspräsentationen und Pitches, eine Keynote zur Zukunft der Chemie sowie Workshops zu IP und KI und eine Paneldiskussion zur Start-up-Finanzierung haben den Präsenztag des achten ECPs geprägt. Hinzu kam das informelle Networking in der ECP-Community. „Es war ein wunderbarer Tag der gegenseitigen Wertschätzung“, berichtet ECP-Initiator Dr. Holger Bengs. „Ein ukrainischer Chemiker meldete sich noch am gleichen Tage an, um einen Job zu finden“, so das langjährige VAA-Mitglied. „Alle waren sehr erfreut, sich nach vier Jahren persönlich auszutauschen und ihre Ideen und Innovationen voranzubringen.“
In seiner Keynoterede hat der Vorstandsvorsitzende der Brenntag SE Dr. Christian Kohlpaintner mehrere Hypothesen vorgestellt. Zum einen seien Chemikalien auch in Zukunft unverzichtbar für die Bewältigung zahlreicher Herausforderungen der Menschheit wie Klimawandel, Armut, Lebensstandard, Medizin, Langlebigkeit und Mangelernährung. „Das Verständnis für die engen Verflechtungen innerhalb der Ökosysteme erfordert jedoch, dass alle Beteiligten ihre Beziehungen überdenken und sich um eine sichere Verwendung von Chemikalien bemühen und die Zusammenarbeit vorantreiben.“
Zum anderen werden erdölbasierte Produkte auch in den nächsten 100 Jahren verwendet werden. „Es ist eine Illusion zu glauben, dass Chemikalien, die für die Lösung der Herausforderungen der Menschheit dringend benötigt werden, in den kommenden Jahrzehnten nicht auf klassischen Erdölprodukten basieren werden.“ Biobasierte Materialien werden laut dem Brenntag-CEO eine zunehmende Rolle spielen, ebenso wie zirkuläre Modelle, aber man werde mehr bewirken, indem man sich auf die Verbesserung bereits bestehender Prozesse konzentriere, ihre Effizienz steigere und ihren ökologischen Fußabdruck verringere.
Im Onlineteil des ECPs Ende Februar kamen die Anhänger des digitalen Business-Speed-Datings zum Zuge. Das Format hatte sich in den Jahren der Coronapandemie etabliert und gehört seitdem zum ECP-Repertoire. Über 100 Partneringgespräche haben digital stattgefunden und einen Austausch zwischen Start-ups, Industrie und internationalen Investoren aus der Chemie-, Pharma- und Biotechbranche ermöglicht.
Optimistisch blickt ECP-Chefnetzwerker Holger Bengs nach vorn: „Der Green Deal, ein kohlenstoffneutrales Europa liegt vor uns: Ein Drittel schaffen wir aus uns selbst heraus. Das zweite Drittel nur über Kooperationen.“ Und für den Schlussspurt, das letzte Drittel, brauche man neue Technologien. „Das ECP ist immer ein guter Tag für diese Zukunft.“ Das neunte ECP wird am 12. Februar 2025 in Präsenz stattfinden – erneut im DECHEMA-Haus in Frankfurt am Main. Am 25. und 26. Februar gibt es dann zwei rein digitale Veranstaltungstage.
Umfrage von VAA und DECHEMA
Schlechtes Zeugnis für den Standort Deutschland
Unter den derzeitigen industriepolitischen Rahmenbedingungen sind die Zukunftsausschichten der chemisch-pharmazeutischen Industrie in Deutschland ausgesprochen negativ. Zu diesem Schluss kommt eine Umfrage unter den Fach- und Führungskräften in den Unternehmen und Forschungseinrichtungen der Branche. Hoffnung machen hingegen die hohe Ausbildungsqualität und die Nähe zwischen Unternehmen und Wissenschaft bei der Technologieentwicklung. Durchgeführt wurde die Umfrage zum Chemie- und Pharmastandort Deutschland im Dezember 2023 unter mehr als 1.400 Mitgliedern des VAA und der DECHEMA Gesellschaft für Chemische Technik und Biotechnologie, die als Fach- und Führungskräfte in Unternehmen und Forschungseinrichtungen der Chemie- und Pharmabranche tätig sind. Vertreter beider Verbände fordern einen radikalen Kurswechsel in der Industriepolitik.
Im Rahmen der Umfrage bewerteten die Mitglieder von VAA und DECHEMA unter anderem die Bedeutung von insgesamt 17 Standortfaktoren für den Fortbestand der Arbeitsplätze. Als wichtigste Einflussfaktoren wurden dabei die Höhe der Energiepreise, das Ausbildungsniveau und die Verfügbarkeit von Fachkräften sowie die Stabilität der industriepolitischen Rahmenbedingungen und die Verfügbarkeit von Rohstoffen genannt.
Die Höhe der Energiepreise ist zugleich der Standortfaktor, dem die Umfrageteilnehmenden mit einer Bewertung den negativsten Einfluss auf den Fortbestand der Arbeitsplätze zuschreiben. Ebenfalls hoch gewichtet und besonders kritisch bewertet wurden die Dauer und Komplexität von Genehmigungsverfahren bei der Errichtung neuer Produktionsanlagen und staatlicher Verwaltungsvorgängen insgesamt. Einen positiven Einfluss sehen die Teilnehmer hingegen durch die Leistungsfähigkeit der vorhandenen Produktionsinfrastruktur und die Nähe zu wissenschaftlichen Institutionen.
Angesichts der Umfrageergebnisse fordert der 2. Vorsitzende des VAA Dr. Christoph Gürtler die politischen Entscheidungsträger zu einem radikalen industriepolitischen Kurswechsel auf: „Wenn der Chemie- und Pharmastandort Deutschland mit seinen hocheffizienten Wettschöpfungsketten erhalten bleiben soll, müssen die Preise für Energie verlässlich auf ein international wettbewerbsfähiges Niveau gedeckelt und die viel beschworenen Maßnahmen zur Entbürokratisierung endlich umgesetzt werden.“ Dies gelte vor dem Hintergrund des durch etliche Chemie- und Pharmaunternehmen bereits angekündigten Abbaus hochqualifizierter Industriearbeitsplätze mehr denn je.
Bei der Positionierung der deutschen Chemie- und Pharmabranche im internationalen Wettbewerb sehen die Umfrageteilnehmer Stärken und Schwächen: Die Ausbildung wird von rund der Hälfte der Befragten als im Vergleich sehr gut oder eher gut bewertet, die Technologieoffenheit immerhin von einem Drittel. Bei der Technikaufgeschlossenheit in der Gesellschaft sind es hingegen nur 13 Prozent. DECHEMA-Geschäftsführer Dr. Andreas Förster: „Deutschland ist ein weltweit führender Forschungs- und Entwicklungsstandort in der Chemie, Chemietechnik und Biotechnologie und wir haben eine sehr gute Vernetzung zwischen Wissenschaft und Industrie in den technischen Wissenschaften. Dieses Potenzial müssen wir nutzen, um Lösungen für die globalen Herausforderungen zu entwickeln und damit auch den Technologiestandort Deutschland zu stärken.“