Kampf gegen Diabetes
Süße Last mit bitteren Folgen
Von Timur Slapke und Simone Leuschner
Wer zu viel Zucker zu sich nimmt, nimmt zu – daran denken Menschen üblicherweise zuerst, wenn sie an die Tücken der modernen Ernährungsweise denken. Übergewicht gilt nicht zu Unrecht als großes Problem für die Gesundheit, dem in letzter Zeit wegen großer Fortschritte in der Behandlung durch die sogenannte Abnehmspritze eine enorme mediale Aufmerksamkeit zuteilgeworden ist. Dabei wird der Wirkstoff hinter dem vermeintlichen Wundermittel seit Langem in der Diabetestherapie eingesetzt. Und Diabetes gilt als echte Volkskrankheit, die oft mit Adipositas, aber auch mit Herz- und Nierenleiden zusammenhängt. In den letzten Jahrzehnten ist die Häufigkeit der Erkrankung weltweit gestiegen – mit weiterhin deutlicher Tendenz nach oben. Dem IDF Diabetes Atlas zufolge gab es allein 2021 geschätzt 537 Millionen Menschen mit Diabetes. Obwohl immer mehr wirksame Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, gibt es nach wie vor offene Fragen zu den vielfältigen Symptomen und Ursachen. Um ein besseres Verständnis für die Krankheitsmechanismen zu gewinnen und das Risiko von Komplikationen besser vorherzusagen, forschen Wissenschaft und Pharmaunternehmen gemeinsam an neuen Ansätzen und entwickeln vorhandene Therapien weiter.
Als Geißel der modernen Gesellschaft ist Diabetes mellitus in nahezu allen Schichten und Altersgruppen der Bevölkerung verbreitet. Nach Angaben der Deutschen Diabetes-Hilfe erkranken mehr als 90 Prozent der Betroffenen an Typ-2-Diabetes – etwa fünf Prozent haben Typ-1-Diabetes. Die Bezeichnung „Diabetes Typ 3“ wird für mehrere Diabetesformen verwendet, die unterschiedliche Ursachen wie beispielsweise eine Erkrankung der Bauchspeicheldrüse oder Infektionen haben. Der sogenannte Gestationsdiabetes – auch als „Schwangerschaftsdiabetes“ bekannt – fällt unter Typ 4. Seit vielen Jahren untersucht Prof. Hans Hauner von der Technischen Universität München (TUM) die Diabetesentwicklung, die sich bisher kaum aufhalten lässt: „Die Menschen in Deutschland leben immer länger und damit steigt das Risiko, diese Krankheit mit dem Älterwerden zu bekommen. Wir müssen ohnehin davon ausgehen, dass jeder dritte Mensch in unserem Land eine erbliche Veranlagung für Diabetes besitzt.“ Hauner ist seit 2003 Direktor des Else-Kröner-Fresenius-Zentrums für Ernährungsmedizin mit Standorten am TUM-Klinikum rechts der Isar und am Wissenschaftszentrum Weihenstephan sowie Mitglied der Leopoldina.
Hauner sieht allerdings auch Lichtblicke am Horizont, weil Menschen mit Diabetes heute viel besser behandelt werden und länger mit der Stoffwechselkrankheit leben können: „Vor allem die Gefahr, an einem Herzinfarkt oder Schlaganfall u zu versterben, konnte deutlich gesenkt werden.“ Das sei im Grunde eine sehr erfreuliche Botschaft und Ergebnis besserer Versorgung. Zwar habe sich die Neuerkrankungsrate in den letzten Jahren nicht mehr erhöht, bleibe aber auf einem hohen Niveau. „Das lässt sich durch unseren modernen Lebensstil erklären, der gerade Krankheiten wie Typ-2-Diabetes fördert. Hier können und sollten wir präventiv ansetzen.“ Die Entwicklung eines Typ-2-Diabetes könnte Hauner zufolge durch gesündere Ernährung, mehr Bewegung und die Vermeidung einer Gewichtszunahme beziehungsweise von Übergewicht gestoppt oder weit verzögert werden. „Da unsere Lebensgewohnheiten in der Kindheit geprägt werden, ist es sehr wichtig, früh auf eine gesunde Lebensführung zu achten und auch die Umgebung so zu gestalten, dass diese erleichtert wird. Davon sind wir leider noch weit entfernt.“
Ähnlich sieht dies Dr. Ruth Lohr vom deutschen Pharmaunternehmen Boehringer Ingelheim: „Häufig bewegen sich Menschen wenig und ernähren sich ungesund. Das sind wichtige Ursachen für die Entwicklung der Zunahme der Erkrankung in der Bevölkerung. Je früher man Diabetes erkennt und behandelt, desto weniger Folgererkrankungen schränken den Lebensalltag der Patienten ein.“ Als Senior Medical Advisor ist sie für die medizinisch-wissenschaftliche Betreuung für ein in Deutschland zugelassenes Medikament zur Behandlung von Typ-2-Diabetes, Herzinsuffizienz und Niereninsuffizienz zuständig. Lohr identifiziert Übergewicht als einen der Risikofaktoren für Typ-2-Diabetes und weist auf die individuellen Behandlungsansätze hin: „Zu Beginn jeder Therapie stehen immer Gespräche mit Patienten über ihre Lebensgewohnheiten. Zur Therapie des Typ-2-Diabetes gehört auch eine Änderung des Ernährungs- und Lebensstils. Man begleitet die Patienten auf diesem Weg parallel zur medikamentösen Therapie.“
Wandel bei Verständnis und Therapie
In den letzten Jahren hat es einen enormen Wandel gegeben, sowohl hinsichtlich der Therapiemöglichkeiten als auch des Verständnisses von Typ-2-Diabetes. „Man spricht mittlerweile von einem Paradigmenwechsel“, sagt Ruth Lohr. „Man hat früher gedacht, dass Diabetes als Zuckerkrankheit hauptsächlich mit Zucker zusammenhängt und für sich allein betrachtet werden kann“, erklärt Lohr. „Typ-2-Diabetes hat eine breite Palette von Begleit- und Folgeerkrankungen – besonders bei Herz und Nieren. Diese sind zunehmend in den Fokus gerückt, was dazu geführt hat, dass medizinische Fachgesellschaften ihre Therapieempfehlungen angepasst haben.“
Tatsächlich hat die Stoffwechselkrankheit sehr weitreichende Auswirkungen. „Typ-2-Diabetes führt zu Schädigungen in großen wie kleinen Blutgefäßen, denen wiederum Organschäden folgen“, führt Ruth Lohr aus. „Oft lange unbemerkt führen diese Schäden zu einem höheren Risiko für beispielsweise Herzinfarkt, Schlaganfall oder Dialyse.“ Darüber hinaus können ein zu hoher Blutzucker und Bluthochdruck die Funktion der Nieren beeinträchtigen. „Es bestehen also Zusammenhänge zwischen Diabetes und Erkrankungen von Herz und Nieren.“
Wie kam es überhaupt zum Wandel bei den Therapieansätzen? Ruth Lohr nennt die Gründe: „Die Food and Drug Administration in den USA, auch unter dem Kürzel FDA bekannt, hat vor einigen Jahren ihre Anforderungen an Diabetesmedikamente angepasst.“ So sollten neue Diabetesmedikamente nicht nur auf ihre Wirksamkeit, sondern explizit auch auf ihre Sicherheit untersucht werden. „Man hat bei den neueren Klassen von Typ-2-Diabetesmedikamenten dabei festgestellt, dass sie gerade für das Herz und die Nieren sogar einen großen Nutzen haben. So kam es zu einer breiteren Betrachtung der Erkrankung.
Sehr breit angelegt war eine internationale Studie zum besseren Verständnis genetischer Risikofaktoren und Komplikationen für Typ-2-Diabetes, an der sich die TUM – Hans Hauners Alma Mater – gemeinsam mit dem Helmholtz-Zentrum München beteiligt hat. Die Ergebnisse wurden Mitte Februar 2024 in der Fachzeitschrift Nature veröffentlicht. „Als Gemeinschaftsleistung von Hunderten von Forschenden aus der ganzen Welt, haben wir die größte genomweite Assoziationsstudie für Typ-2-Diabetes durchgeführt“, zitiert das Helmholtz-Zentrum die leitende Wissenschaftlerin der Studie Prof. Eleftheria Zeggini in einer Pressemitteilung. An der Untersuchung haben sich 2,5 Millionen Menschen weltweit beteiligt, darunter rund 430.000 Personen mit Typ-2-Diabetes. „Wir haben neue genetische Risikoloci für die Erkrankung gefunden und genetische Risiko-Scores entwickelt, die mit schädlichen Komplikationen in Verbindung stehen“, so die TUM-Professorin und Helmholtz-Wissenschaftlerin weiter. Ein vertieftes Wissen über das Fortschreitungsrisiko von Komplikationen bei Typ-2-Diabetes könne laut Zeggini dazu beitragen, frühzeitig Maßnahmen zu ergreifen.
Wer Symptome erkennen und Komplikationen vorbeugen möchte, sollte zunächst verstehen, wie sich die Krankheit bemerkbar macht und was dabei im Körper passiert. Vereinfacht formuliert: Bei Menschen mit Diabetes mellitus ist der Blutzuckerspiegel erhöht. Ihren Körpern gelingt es nicht, die mit der Nahrung aufgenommene Energie über den Verdauungstrakt in den Blutkreislauf zu bringen. Dafür ist das Hormon Insulin verantwortlich, das den Zucker aus dem Blut in die Zellen zur Verwertung leitet, wodurch der Blutzuckerspiegel wieder sinken sollte.
Um hohe Blutzuckerwerte abzubauen, produziere die Bauchspeicheldrüse beständig große Mengen Insulin, erklärt Prof. Dieter Paar von Sanofi im Podcast aus der Reihe „Gesundheit & Innovation“. Der französische Konzern mit einem großen Forschungs- und Produktionsstandort im Industriepark Höchst in Frankfurt am Main gehört gemeinsam mit Unternehmen wie Novo Nordisk, Eli Lilly, Boehringer Ingelheim und Pfizer zu den wichtigsten Pharmaakteuren auf dem Gebiet von Diabetes. Im Podcast zum 100-jährigen Jubiläum der Insulinproduktion „made in Frankfurt“ führt der Medizinische Direktor des Geschäftsbereichs General Medicines weiter aus: „Der dauerhaft erhöhte Insulinwert im Blut führt bei Typ-2-Diabetes jedoch dazu, dass die Zellen immer weniger auf das Hormon reagieren und den Zucker dadurch schlechter aus dem Blut aufnehmen.“ Trotz des Insulins bleibe der Blutzuckerspiegel damit hoch. Das wiederum rege die Bauchspeicheldrüse dazu an, noch mehr Insulin auszuschütten, was jedoch die Insulinresistenz der Zellen nur weiter verstärkt. Dieter Paar warnt: „Wenn man nicht aktiv eingreift, führt dies im schlimmsten Fall dazu, dass die insulinproduzierenden Zellen in der Bauchspeicheldrüse durch die permanente Überlastung erschöpfen, in einen chronischen Entzündungszustand kommen und schlussendlich zugrunde gehen.“ Das Ziel in der Diabetesforschung ist also klar: Es gilt, diese medizinischen Beschwerden zu verlangsamen oder sogar zu verhindern.
Wechselspiel mit Herz und Nieren
Um innovative Therapien zur Symptomlinderung und Krankheitsvorbeugung von Diabetes zu entwickeln, forschen Unternehmen wie Boehringer Ingelheim intensiv an den Wechselwirkungen von Diabetes mit Herz- und Nierenerkrankungen. Denn es scheint mittlerweile klar zu sein, dass die klinische Entwicklung von Diabetesmedikamenten in Richtung der kombinierten Anwendung in Bezug auf Herz und Nieren geht. „Das ist noch nicht in allen Köpfen drin“, stellt Boehringer-Diabetesexpertin Ruth Lohr fest. „Dieser Bewusstseinswandel ist derzeit bei Ärzten und Patienten in vollem Gange. Die Zukunft liegt in der Interdisziplinarität.“
Vielversprechend fürs Ingelheimer Pharmaunternehmen ist ein auf dem Wirkstoff Empagliflozin basierendes Medikament. Die darin enthaltenen SGLT-2-Hemmer wurden ursprünglich zur Behandlung von Diabetes eingesetzt. Später hat Boehringer gemeinsam mit dem in Indianapolis ansässigen US-Pharmakonzern Eli Lilly herausgefunden, dass diese Hemmer auch Menschen mit den beiden Hauptformen der chronischen Herzinsuffizienz helfen. Was ist eine Herzinsuffizienz? Lohr bringt es auf den Punkt: „Wenn das Herz nicht genügend Blut in den Kreislauf pumpt, oder sich das Herz nicht mehr mit genügend Blut füllt.“ Inzwischen haben Studien nachgewiesen: Das Medikament wirkt auch bei chronischer Herz- oder Niereninsuffizienz, auch ohne Typ-2-Diabetes.
Über weitere Ansätze, die sich jedoch noch in einer frühen Forschungsphase befinden, hat der britische The Economist im Februar 2024 berichtet. Konkret geht es um die Betazellen in der Bauchspeicheldrüse, die Insulin synthetisieren und freisetzen. Bei Typ-1-Diabetes komme es zu einem Rückgang, wenn das körpereigene Immunsystem bei Autoimmunität seine Betazellen angreift und bis zu 80 Prozent von ihnen auslöscht. Bei Typ-2-Diabetes werde zwar weiterhin Insulin produziert, aber die Körperzellen entwickeln eine Resistenz. Bei einigen Patienten können die Betazellen durch eine Transplantation von menschlichen Spendern ersetzt werden, so das Nachrichtenmagazin weiter. Zu diesem Zweck u teste das Bostoner Unternehmen Vertex Pharmaceuticals aus Stammzellen gezüchtete Betazellen. Das Problem: Wegen fehlenden Immunschutzes ist die Verabreichung von Immunsuppressiva nötig, um die Abstoßung nach einer Transplantation zu verhindern. Denn wenn das Immunsystem auf sogenannte HLA-Proteine aus einem fremden Körper stoße, erkenne es die Zellen, die sie anzeigen, als Eindringlinge und greife mit Killer-T-Zellen und Antikörpern an.
An dieser Stelle bringt der Economist Sonja Schrepfer von der University of California in San Francisco ins Spiel: Die Forscherin will die Produktion von HLA-Proteinen in im Labor gezüchteten und für Transplantationen vorgesehene Betazellen verhindern. Dies könne durch die Bearbeitung zweier an ihrer Produktion beteiligter Gene erreicht werden, wodurch die betreffenden Zellen theoretisch fürs Immunsystem „unsichtbar gemacht werden“. Ein Mangel oder ein Fehlen an HLA-Proteinen lässt jedoch die Alarmsignale bei natürlichen Killerzellen und Makrophagen läuten. Dies könne durch die Überexpression eines Proteins namens CD47 abgewehrt werden, was Schrepfers Team durch genetische Manipulation ihrer Betazellen gelang. In einem Versuch am Universitätskrankenhaus Uppsala in Schweden sollen nun menschliche Versionen der veränderten Zellen in den Unterarm einzelner Patienten transplantiert werden.
Gleichgewicht der Geschlechter nötig
Doch es gibt noch einen wichtigen Faktor für die richtige Behandlung von Erkrankungen wie Diabetes: das Geschlecht. So sind Frauen etwa bei Herzinsuffizienz in klinischen Studien immer noch unterrepräsentiert. Darauf weist Boehringer Ingelheim in seinem Unternehmensbericht für das Jahr 2022 explizit hin. So sei die Auswurfleistung weiblicher Herzen von Natur aus stärker als die von Männern. „Bei einer Frau mit Herzproblemen könnte die Auswurfleistung also normal erscheinen, obwohl sie tatsächlich zu schwach ist.“ Unterschiede zwischen den Geschlechtern haben daher auch Auswirkungen auf die Beziehung zwischen Diabetes und Herzerkrankungen, zitiert der Bericht die Präsidentin der American Society for Preventive Cardiology Martha Gulati, da Diabetes bei Frauen häufiger zu Herzerkrankungen führe als bei Männern. Für Boehringer steht deshalb fest: Die Wechselwirkungen zwischen den Erkrankungen und die Beseitigung der Verzerrungseffekte aufgrund des Geschlechts in klinischen Studien sind die wichtigsten Impulse, um Ursachen und Abhängigkeiten komplexer Krankheitsbilder wie Diabetes besser zu erforschen.
Genau diese Forschung braucht ein möglichst breites und koordiniertes Zusammenspiel zwischen Wissenschaft, Industrie und Medizin. „Die Pharmaindustrie in Deutschland steht mit Forschungseinrichtungen und Studienzentren, Kliniken, Ärzten und Patientenorganisationen im Austausch“, schildert Ruth Lohr von Boehringer Ingelheim. Gemeinsam werden auf effiziente Weise Fortschritte erzielt und neue Hoffnungsträger für die Diabetesbehandlung identifiziert. Schließlich sorgt Diabetes für erhebliche gesundheitliche und wirtschaftliche Belastungen für Gesellschaften weltweit, ganz zu schweigen vom individuellen Leiden für Hunderte von Millionen Betroffene.
Gleichzeitig kommt es auf mehr Prävention an: Menschen sollten sich der Eigenverantwortung für ihren Lebensstil und ihre Ernährungsgewohnheiten bewusst werden. Denn so lassen sich sowohl das Diabetesrisiko reduzieren als auch die Wirksamkeit von Therapien verbessern.
Interview mit Prof. Hans Hauner
Prof. Hans Hauner von der Technischen Universität München (TUM) ist seit 2003 Direktor des Else-Kröner-Fresenius-Zentrums für Ernährungsmedizin mit Standorten am TUM-Klinikum rechts der Isar und am Wissenschaftszentrum Weihenstephan. Hauners Schwerpunkte liegen auf der Erforschung ernährungsmitbedingter chronischer Krankheiten wie Adipositas und Typ-2-Diabetes. Darüber hinaus beschäftigt sich der studierte Humanmediziner mit Ernährung in der Schwangerschaft und fötaler Programmierung, funktioneller Genomik von Risikogenen für Adipositas und Typ-2-Diabetes sowie der Entwicklung neuer Ernährungskonzepte.
VAA Magazin: Was macht Zucker auf Dauer mit unserem Körper?
Hauner: Der Verzehr von Zucker ist ein wesentlicher Teil unserer Ernährung geworden. 15 bis 20 Prozent aller Kalorien nehmen wir in Form von Zucker auf: in Getränken, Süßwaren und vielen anderen Lebensmitteln. Ein hoher Zuckerkonsum begünstigt die Entwicklung von Übergewicht, Typ-2-Diabetes und Herz-Kreislauf-Krankheiten. Der hohe Zuckerkonsum ist aber nur ein Teil unserer ungesunden Ernährung: Zu wenig Gemüse und Obst, zu wenig Vollkornprodukte – und damit wenig Ballaststoffe –, aber auch reichlich tierische Fette sind ähnlich ungünstig.
Die hohen Blutzuckerwerte, die bei dieser Krankheit auftreten, können auf lange Sicht viele Organe schädigen, zum Beispiel Augen, Nieren, Nervensystem und die großen Blutgefäße, sodass schwere Komplikationen drohen. Darunter leidet die Lebensqualität der Betroffenen, aber auch das familiäre Umfeld ist mitbetroffen.
Können sogenannte Light-Produkte beim Abnehmen eigentlich helfen? Können sich umgekehrt künstliche oder natürliche Zuckerersatzstoffe schädlich auf den Körper auswirken?
Light-Produkte haben tatsächlich kaum Vorteile, sodass man darauf gut verzichten kann. Man kann auch mit üblichen Lebensmitteln eine gesunde und gewichtsfreundliche Ernährung erreichen. Es geht auch nicht darum, weniger, sondern anders zu essen, das heißt reichlich Gemüse, Obst, Vollkornprodukte, magere Fleischwaren und Milchprodukte, um nur wenige Beispiele zu nennen. Vor allem verzehrfertige Lebensmittel und Mahlzeiten, insbesondere Fast Food, sollten weniger gegessen werden, womit sich viele Kalorien einsparen lassen. Wer seine Mahlzeiten selbst zubereitet, ernährt sich in der Regel deutlich gesünder.
Zuckerersatzstoffe sind meist überflüssig und werden sowieso häufig schlecht vertragen. Wer gelegentlich etwas Süßes als Getränk braucht, kann gern auf süßstoffgesüßte Getränke ausweichen. Trotz einiger Alarmmeldungen in letzter Zeit gelten Süßstoffe weiter als sicher und vertretbar. Richtig ist aber auch, dass wir hierzu mehr Forschung brauchen.
Bestehen Zusammenhänge zwischen der richtigen Ernährung und einer Krankheit wie Diabetes? Kann eine Ernährungsumstellung dazu beitragen, Diabetes zu lindern?
Diese Frage kann klar mit „ja“ beantwortet werden. Gerade in den letzten Jahren konnte gezeigt werden, wie wirksam eine Ernährungsumstellung sein kann. Eine neue Studie hat gerade gezeigt, dass Ernährung zu 70 Prozent für die Entwicklung eines Typs 2 verantwortlich ist. Klar ist aber auch, dass sich die Krankheit damit nicht heilen lässt, sondern lediglich ihre Entwicklung verlangsamt werden kann. Dabei lassen sich auch Medikamente einsparen. Und noch wichtiger: Die gesunde Ernährung schützt gleichzeitig auch vor vielen anderen Wohlstandskrankheiten.
An welchen Projekten arbeiten Sie gerade mit Ihren Teams?
Es ist in den letzten Jahren immer deutlicher geworden, dass es bei Typ-2-Diabetes verschiedene Unterformen – „Subtypen“ – gibt, die unterschiedlich verlaufen und dementsprechend auch eine spezifische Behandlung erfordern. Hierzu laufen im Rahmen des Deutschen Zentrums für Diabetesforschung mehrere Studien bei Betroffenen, die zu gezielteren Behandlungen führen sollen. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auch auf der Prävention des Typ-2-Diabetes. Ziel ist es, Menschen mit hohem Diabetesrisiko früh zu erkennen und den Ausbruch der Krankheit zu verhindern.
Ein weiteres wichtiges Thema ist derzeit die Personalisierung der Behandlung, ganz besonders auch der Ernährung. Jeder Mensch hat andere Vorlieben und Gewohnheiten. Es geht darum, diese Gewohnheiten bei der Betreuung zu berücksichtigen und im Einzelfall gemeinsam mit dem betroffenen Menschen Änderungen vorzunehmen, die sich im Alltag gut umsetzen lassen. Dafür gibt es große Spielräume. Gleiches gilt im Übrigen auch für die medikamentöse Behandlung des Diabetes.
Typ 1 oder Typ 2?
Bei Typ-1-Diabetes handelt es sich um eine Autoimmunerkrankung, die vor allem in jungen Jahren auftritt. Sie führt dazu, dass der Körper die Fähigkeit verliert, eigenes Insulin zu produzieren. Das hänge damit zusammen, heißt es im Sanofi-Podcast „Gesundheit & Innovation“, dass der Körper selbst Antikörper gegen die eigenen Betazellen in der Bauchspeicheldrüse bildet. Das eigene Immunsystem greife die insulinproduzierenden Zellen an und vernichte sie. Die Folge: Ohne die regulierende Funktion des körpereigenen Insulins bleibt der Blutzucker dauerhaft viel zu hoch. Zu hohe Blutzuckerwerte führen zu Schäden an Organen und Gefäßen.
Typ-2-Diabetes war früher auch als „Altersdiabetes“ bekannt und trat meistens bei älteren Menschen mit leichtem bis starken Übergewicht auf. Das Problem erläutert der Medizinische Direktor des Sanofi-Geschäftsbereichs General Medicines Prof. Dieter Paar: „Über viele Jahre produzieren die Betroffenen nicht zu wenig, sondern zu viel Insulin, wozu der geführte Lebensstil nicht passt. Die Bauchspeicheldrüse arbeitet unter Volllast dagegen an und kann irgendwann nicht mehr.“ Außerdem werden die Muskelzellen resistent, die das Insulinsignal aufnehmen. Diese Insulinresistenz sei eine Art Gewöhnungseffekt, der jedoch zu einem Teufelskreis führen könne. „Ein ungesunder Lebensstil – zu viel ungesundes Essen, zu wenig Bewegung, Rauchen und andere Faktoren – führt zu einem Überangebot an Energie im Stoffwechsel, in Form von permanent hohen Blutzuckerwerten.“
Im Gegensatz zu Typ 1, bei dem die Zerstörung der Betazellen bislang unabwendbar ist, kann diese bei Typ 2 durchaus verhindert oder zumindest deutlich verzögert werden. Vor allem der Wandel des Lebensstils spielt hierbei eine maßgebliche Rolle. Zusätzlich können auch Medikamente helfen. Im Podcast „Gesundheit & Innovation“ sagt Paar dazu: „Um einen Menschen mit Diabetes eine Woche mit Insulin zu versorgen, hat man früher die Bauchspeicheldrüse eines Schweins gebraucht. Man hätte also 52 Schweine benötigt, um einen Typ-1-Diabetiker ein Jahr zu behandeln.“ Dies zeige, dass es ohne industrielle Insulinproduktion nie funktioniert hätte.
Schlechter Schlaf und Diabetes
Schlafstörungen und Diabetes sind eine bislang unterschätzte Verbindung, betont der Leiter des Interdisziplinären Schlafzentrums am Pfalzklinikum Dr. Hans-Günter Weeß. Denn Schlaf sei das wichtigste Regenerations- und Reparaturprogramm des Menschen. Weeß ist außerdem Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin sowie Autor zahlreicher Bücher zum Thema Schlafgesundheit. „Schlafmangel und chronische Schlafstörungen können negative Auswirkungen auf die Gesundheit und das Leistungsvermögen des Menschen haben“, sagt der Diplom-Psychologe, Psychotherapeut und Somnologe. So haben Studien in den letzten Jahren auch eine enge Verbindung zwischen Schlafmangel, chronischen Schlafstörungen und Diabetes aufgedeckt. Dabei bestünden die Wechselwirkungen in beiden Richtungen.
„Mehrere Studien haben gezeigt, dass Schichtarbeit das Risiko für die Entwicklung von Typ-2-Diabetes erhöhen kann“, so Hans-Günter Weeß. „Dies liegt teilweise an den gestörten zirkadianen Rhythmen, die den Stoffwechsel beeinflussen und die Insulinresistenz fördern können.“ Zusätzlich führe Schichtarbeit oft zu unregelmäßigen Essenszeiten und Schlafmustern, wodurch das Diabetesrisiko weiter wächst. „Schlafstörungen wie Schlafapnoe sind ebenfalls mit einem erhöhten Risiko für Typ-2-Diabetes verbunden, da sie den Schlaf unterbrechen und zu einer unzureichenden Erholung während der Nacht führen können.“ Darüber hinaus können schlechter Schlaf und Schlafmangel die Blutzuckerkontrolle bei Menschen mit Diabetes verschlechtern und das Risiko für diabetische Komplikationen erhöhen.
Andererseits könne Weeß zufolge aber auch Diabetes selbst aufgrund nächtlicher Hypoglykämien oder einer diabetischen Polyneuropathie den Schlaf beeinträchtigen. Dies führe zu Ein- und Durchschlafstörungen oder einem Restless-Legs-Syndrom.
Zahlen und Fakten
8,9 Millionen
Menschen leben in Deutschland inzwischen mit Typ-2-Diabetes, wie aus der aktuellen „Bestandsaufnahme 2024“ der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) für das Jahr 2023 hervorgeht. Weitere 32.000 Kinder und Jugendliche sowie 340.000 Erwachsene sind an Typ-1-Diabetes erkrankt. Hinzu kommt eine Dunkelziffer von mindestens zwei Millionen Betroffenen, also Menschen, die nicht wissen, dass die Zuckerkrankheit in ihnen schlummert. Diabetes ist keine harmlose, sondern eine lebensbedrohende Erkrankung, die dank der industriellen Produktion des Hormons Insulin inzwischen sehr gut behandelt werden kann.
Im Jahr 1923
hat die industrielle Produktion von Insulin im Industriepark Höchst in Frankfurt am Main begonnen. Aus der langjährigen Expertise im Bereich der biotechnologisch hergestellten Insuline ist schließlich der Sanofi-BioCampus entstanden – ein Zentrum für innovative Forschung und moderne Produktion von Insulinen und Biologika für die Immunologie. Im Bereich der Insuline ist hier die gesamte Wertschöpfungskette abgebildet, von der Wirkstoffherstellung über die pharmazeutische Fertigung bis hin zur Entwicklung und Fertigung von Insulinpens. Rund 4.000 Beschäftigte des Pharmakonzerns Sanofi sind in diesem Bereich tätig.
70 Gramm
wiegt im Schnitt die menschliche Bauchspeicheldrüse, diein drei Abschnitte unterteilt ist. Der dickere rechte Teil schmiegt sich in die Biegung des Zwölffingerdarms und wird als Kopf bezeichnet, erklärt die Deutsche Krebsgesellschaft auf ihrem ONKO-Internetportal. Das Mittelstück – Körper genannt – überquert die Wirbelsäule in Höhe des ersten und zweiten Lendenwirbels. Das dünne linke Ende – der Schwanz – erstreckt sich bis zur Milz. Die Bauchspeicheldrüse erfüllt zwei lebenswichtige Funktionen: Zum einen produziert sie die Verdauungssäfte, die für die Aufschlüsselung und Zerkleinerung der Nahrung im Darm notwendig sind. Zum anderen bildet sie die Hormone Insulin und Glukagon, die den Blutzuckerspiegel regulieren.
Rund 450
Millionen von Sanofi produzierte Insulinpens werden jährlich aus Frankfurt am Main in über 60 verschiedene Länder der Welt verschickt. Heutzutage wird Insulin rein biotechnologisch produziert, erläutert das Unternehmen in seinem CSR-Report für das Jahr 2023. Ein Wirkstoff durchläuft nach bestandenen präklinischen Prüfungen drei Phasen mit gesetzlich vorgeschriebenen Schritten, bevor er den Zulassungsbehörden vorgelegt und nach deren Freigabe den Patientinnen und Patienten verabreicht werden darf. Dabei endet nicht jedes Forschungsprojekt mit einem neuen Wirkstoff. Der Prozess, bis ein Medikament seine Zulassung erhält, dauert im Durchschnitt etwa 13 Jahre und kostet bis zu zwei Milliarden Euro.
200- bis 1.000-mal
so groß wie „klassische“ kleine Moleküle in chemisch hergestellten Medikamenten messen die großen Moleküle der Biologika, die am BioCampus von Sanofi in Frankfurt am Main erforscht und bis zur Anwendung entwickelt werden. Biologika wie Antikörper, Proteine oder Enzyme treten in der Natur auf oder werden mit wissenschaftlichen Methoden entwickelt. Hergestellt werden können sie jedoch nur aus lebenden Zellen in einem Fermentationsprozess, so der Sanofi-CSR-Report. Sie werden zur Herstellung von Insulin eingesetzt und verbessern seit den 1990er Jahren das Leben von Menschen mit Diabetes erheblich.
Höchstens 2.000
Kilokalorien sollten gesunde Menschen im Schnitt pro Tag maximal zu sich nehmen, lautet die Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung. Maximal zehn Prozent dieser Energie sollte aus Zucker stammen. Das entspricht einer maximalen Zufuhr von 50 Gramm Zucker – rund zehn Teelöffel. Dazu zählt Zucker, den Hersteller oder Verbraucherinnen und Verbraucher Lebensmitteln zusetzen, sowie der in Früchten, Honig, Sirup, Fruchtsaft und Fruchtsaftkonzentrat natürlich vorkommende Zucker.