Gastbeitrag zu Management und Führung
Psychologische Sicherheit: Trend oder Thema?
Von Dr. Stefan Klaußner
„Psychologische Sicherheit“ geistert seit einiger Zeit als neuer Trendbegriff durch die Unternehmenslandschaft. Dahinter verbirgt sich ein altbekanntes Phänomen – denn viele Menschen haben das Fehlen von psychologischer Sicherheit bereits erlebt, ohne dass sie es als solches benennen konnten.
Vielleicht kommt manchen das folgende Szenario bekannt vor: Einige Tage nach einem Meeting zur strategischen Neuausrichtung Ihres Unternehmens sprechen Sie mit einer Kollegin, die auch an der Besprechung teilgenommen hat. Auf die Frage, wie sie das Meeting erlebt hat und das Ergebnis einschätzt, bringt sie Argumente und Gedanken zur Sprache, die sie selbst nicht geteilt hat. Auf die Frage nach den Gründen für die Zurückhaltung antwortet sie schlicht: „Da gibt’s doch eh nur einen auf den Deckel. Echte Argumente will da doch keiner hören.“
Berechtigt oder nicht, in der subjektiven Wahrnehmung der Kollegin fehlte die nötige Sicherheit, um eine vermeintlich abweichende Meinung mitzuteilen. Tritt diese Zurückhaltung als Muster auf, so ist das Gift für die Weiterentwicklung von Organisationen, Teams und Individuen. Denn es fehlt an kreativen Ideen, konstruktiven Rückmeldungen und einem Hinterfragen des Status quo. Dem zugrunde liegt der „Zurückhaltungseffekt“.
Wo kommt das Konzept der psychologischen Sicherheit her?
Der offene Austausch von Meinungen, Einschätzungen und Perspektiven ist für Kreativität und Leistungsfähigkeit von Teams und Organisationen essenziell. Also Trendbegriff hin oder her: Psychologische Sicherheit ist relevant. Als eine der ersten hat das Amy Edmondson von der Harvard University erkannt und in der wissenschaftlichen Community im Jahr 1999 kommuniziert. In der Praxis ist das Konzept allerdings erst 2015 durch das Projekt „Aristoteles“ von Google bekannt geworden. In diesem Forschungsprojekt wurden 250 Teamlevel-Variablen untersucht, um herauszufinden, was die wirklich entscheidenden Faktoren für den Erfolg von Teams sind. Heraus kam, dass psychologische Sicherheit nicht nur erfolgskritisch ist, sondern vielmehr die Grundlage für alle weiteren Faktoren erfolgreicher Teams bildet.
Was genau ist nun psychologische Sicherheit?
Amy Edmondson definiert psychologische Sicherheit als die geteilte Überzeugung im Team, dass man zwischenmenschliche Risiken ohne Gefahr eingehen kann. Zwischenmenschliche Risiken sind beispielsweise das Bitten um Hilfe, ohne gleich als „Low Performer“ zu gelten, das offene Ansprechen von Fehlern, ohne Sanktionen zu befürchten, oder die kritische Rückmeldung an Kolleginnen und Kollegen sowie Vorgesetzte, ohne dass die Kritik als persönlicher Angriff verstanden wird.
Welche praxisbezogene Forschung findet aktuell statt?
Die HPO Research und Consulting Group beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der Frage, wie sich dauerhaft hohe Leistungen in Organisationen und Teams realisieren lassen. Nun ist kaum überraschend, dass psychologische Sicherheit ein zentraler Fokus der HPO-Arbeit der Organisations- und Führungskulturentwicklung ist. Aktuell besonders interessant ist die Frage, wie die Entstehung psychologischer Sicherheit aus der Perspektive der Führungskraft in Teams beschleunigt werden kann. Denn gerade in Zeiten steigender Unsicherheiten und immer höheren Wettbewerbsdrucks reicht es nicht mehr, irgendwann einen Zustand hoher psychologischer Sicherheit zu erreichen. Je schneller das gelingt, desto früher werden die Leistungspotenziale eines Teams wie beispielsweise die Erfahrungen und Qualifikationen der einzelnen Teammitglieder tatsächlich nutzbar.
Wie kann man von der Forschung profitieren und dazu beitragen?
Wer an diesem Punkt zum Schluss kommt, dass psychologische Sicherheit auch für das eigene Unternehmen ein wichtiges Thema ist, kann gern Kontakt mit der HPO aufnehmen. Ausgehend von bestehender Forschung hat die HPO einen Fragebogen entwickelt, mit dem der Status quo der psychologischen Sicherheit auf Teamebene ermittelt werden kann. Für interessierte Unternehmen und Sprecherausschüsse aus dem ULA-Netzwerk besteht die Möglichkeit, den Onlinefragebogen vergünstigt zu verwenden. Die Ergebnisse werden in einem einstündigen Debriefing vorgestellt. In diesem Rahmen werden auch bewusste und unbewusste Maßnahmen zur Steigerung und Beschleunigung der psychologischen Sicherheit skizziert. Auf diese Weise erhalten die Befragten eine wertvolle Rückmeldung und leisten gleichzeitig einen Beitrag bei der Erforschung von Faktoren der beschleunigten Entstehung von psychologischer Sicherheit.
Dr. Stefan Klaußner ist Partner der High Performance Organizations (HPO) Reasearch and Consulting Group. Nach seiner Ausbildung zum Industriekaufmann hat er an der Freien Universität Berlin und der Princeton University Betriebswirtschaftslehre studiert und zur Entstehung von Konflikten in Führungsbeziehungen promoviert. Seine Beratungsschwerpunkte liegen im Bereich der Begleitung organisationaler Transformationsprozesse mit dem Fokus auf Organisations- und Führungskultur.
Kommentar Markus Ebel-Waldmann
Führen in der Krise
Kein Zweifel, die Lage ist ernst. Der Krieg in der Ukraine hat das Potenzial, unseren Wohlstand und unseren Frieden in Europa zu bedrohen. Seit Monaten schauen wir die Nachrichtensendungen und erkennen widerwillig, dass die Entwicklung immer gefährlicher wird. Die von Deutschland gemeinsam mit der EU und weiteren NATO-Mitgliedstaaten beschlossenen Sanktionen scheinen den Kriegsherrn im Kreml nicht sonderlich zu beeindrucken. Seine Kriegsmaschinerie mag zwar schwerfällig sein, aber sie gräbt sich unaufhaltsam und unerbittlich in die Flanken der Ukraine ein. Wir in Deutschland müssen erkennen, dass wir für die Kappung unserer Energiepartnerschaft mit Russland einen sehr hohen Preis zahlen werden. Einen Preis, für den wir alle bisher keine Rückstellungen gebildet haben. Dennoch war sie alternativlos angesichts des Verhaltens der russischen Führung.
Die Älteren von uns können sich vielleicht noch an die Ölkrise Anfang der 1970er Jahre erinnern. Damals musste eisern Öl gespart werden, um die Industrie am Laufen zu halten. Es gab mehrfach Fahrverbote an Sonntagen. Auch damals folgten enorme Preissteigerungen für fast alle Güter und eine Zinsexplosion. Auch aus dieser Ölkrise sind wir wieder herausgekommen. Es gilt nun, besonnen und pragmatisch, Energie einzusparen. Vielleicht dauert diese Krise länger als alle anderen. Wir wissen es nicht. Wir als Führungskräfte sollten unser Können einsetzen und unsere Hausaufgaben machen: Wir sollten in den Unternehmen mit Einfallsreichtum und Kreativität Einsparpotenziale erschließen, die den aktuell viel zu hohen Gasverbrauch verringern oder substituieren. Wir sollten auch in unserem sozialen Umfeld mit gutem Beispiel vorangehen. Es gibt viele kleine Einsparmöglichkeiten im Privaten. Natürlich können wir einmal freiwillig Tempo 130 einführen. Im Herbst können wir unsere Heizungen etwas drosseln und uns stattdessen wärmer anziehen. Wir können auch in LED-Technik und weitere stromreduzierende Technologien investieren, denn das reduziert auch unseren Gasverbrauch. Jede noch so kleine Einsparung der einzelnen Haushalte führt im Ergebnis zu millionenfachen Reduzierungen des Verbrauchs.
Vielleicht sind wir auch in der Lage, die aktuellen Zumutungen in Stärken zu verwandeln. Wir sprechen schon seit geraumer Zeit darüber, wie wichtig ein ressourcenschonenderer Umgang mit unserem Planeten ist. Unternehmen und Verbraucher sind sich längst einig, dass wir unseren Lebensstil so nicht auf Dauer aufrechterhalten können. Nicht ausgeschlossen ist, dass eines Tages der Ukraine-Krieg als der wesentliche Schwenk hin zu einer nachhaltigen und erneuerbaren Energiepolitik in unsere Geschichtsbücher eingeht.
ULA Intern
Max-Spohr-Preis 2022 verliehen
Mit einem gut besuchten online ULA-Politik-Dialog hat der Verband am 29. Juni die politische Sommerpause eingeläutet. Gast war Dr. Martin Rosemann, Mitglied im Ausschuss für Arbeit und Soziales im Bundestag und Sprecher für Arbeit und Soziales der SPD-Fraktion.
Am 30. Juni nahmen ULA-Präsident Roland Angst und Verbandsdirektor Ludger Ramme an der Verleihung des Max-Spohr-Preises in Düsseldorf teil. Die ULA ist in der Jury vertreten. Mit dem Preis des ULA-Mitgliedsverbandes Völklinger Kreis (VK) werden seit 2001 alle zwei Jahre Unternehmen und öffentliche Einrichtungen in Deutschland geehrt, die auf vorbildliche Weise Vielfalt in ihren Organisationen durch Diversity Management unterstützen, insbesondere durch Instrumente zur Förderung der Kerndimension „sexuelle und geschlechtliche Identität“ und Programme für lesbische, schwule, bisexuelle sowie trans- und intergeschlechtliche Beschäftigte. Für den VK ist die Umsetzung des ganzheitlichen Diversitygedankens eines der zentralen Ziele seiner Arbeit als Berufsverband.
In der Kategorie „Großunternehmen“ ist das zur Bertelsmann Gruppe gehörende Unternehmen Arvato Financial Solutions ausgezeichnet worden. In der Kategorie „Öffentlicher Dienst“ wurde die Polizeiakademie Niedersachsen ausgewählt, im Bereich „KMU“ die Queere Haushaltshilfe in Berlin. Den Sonderpreis der Jury erhielt die Queere Nothilfe Ukraine.
Whistleblowing in Unternehmen
Hinweisgeberschutzgesetz: Regierungsentwurf im Praxistest
Zielsetzung des Koalitionsvertrags von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP ist die rechtssichere und praktikable Umsetzung der EU-Whistleblower-Richtlinie. Whistleblower sollen bei der Meldung sowohl von Verstößen gegen EU-Recht vor rechtlichen Nachteilen geschützt sein als auch von erheblichen Verstößen gegen Vorschriften oder sonstigem erheblichen Fehlverhalten, dessen Aufdeckung im besonderen öffentlichen Interesse liegt. Die Durchsetzbarkeit von Ansprüchen wegen Repressalien sollen verbessert und dafür Beratungs- und finanzielle Unterstützungsangebote geprüft werden. Hierzu haben die ULA sowie das Deutsche Institut für Compliance (DICO) jeweils eine offizielle Stellungnahme im Rahmen der Konsultationen des Bundesministeriums der Justiz abgegeben.
Im Interview mit den ULA Nachrichten zeigen beide Institutionen auf, wo aus Sicht der Führungskräfte und der im DICO organisierten Compliance-Experten mit Blick auf die Praxis Nachbesserungen am Regierungsentwurf notwendig sind. Dieser wurde am 27. Juli 2022 vom Bundeskabinett beschlossen und geht nun in die parlamentarischen Beratungen.
ULA Nachrichten: Warum müssen wir den Hinweisgeberschutz in Deutschland stärken?
Dr. Robert Ratay (Mitglied des DICO-Vorstandes): Zunächst ist zu sagen, dass Hinweisgebersysteme für die Wirksamkeit von Compliance-Management-Systemen von überragender Bedeutung sind. Durch sie eröffnet sich für Unternehmen und andere Organisationen die Möglichkeit, Informationen über mögliche Verstöße oder Schwachstellen zu erlangen, die durch anderweitige Kontroll- oder Überwachungsmaßnahmen niemals aufdeckbar wären. Hinweisgebende Personen übernehmen mit ihren Meldungen Verantwortung für die Integrität einer Organisation und gehen dabei nicht selten hohe persönliche Risiken ein – vor allem, wenn sie in der betreffenden Organisation beschäftigt oder anderweitig beruflich verbunden sind. Hierfür gibt es zahlreiche Beispiele aus Wirtschaft und Politik, wie zum Beispiel der Fall des Whistleblowers Martin Porwoll, der den betrügerischen Umgang mit Krebsmedikamenten in der Alten Apotheke Bottrop aufdeckte. Aus Sicht von DICO ist es deshalb unerlässlich, dass der Schutz von hinweisgebenden Personen sowie die damit zusammenhängenden Regeln und Abläufe endlich auf eine rechtssichere gesetzliche Grundlage gestellt werden.
Roland Angst (ULA-Präsident): Führungskräften kommt sowohl beim Schutz von Unternehmensgeheimnissen als auch der Verhinderung und Aufdeckung von rechtswidrigem Verhalten eine besondere Verantwortung zu. Die ULA begrüßt daher das grundsätzliche Ziel, mit dem Hinweisgeberschutzgesetz rechtliche Sicherheit für Arbeitnehmer und Betriebe auch auf nationaler Ebene zu schaffen. Entscheidend für den Erfolg der Umsetzung wird es sein, keine Kultur des Misstrauens gegenüber den Unternehmen und Führungskräften zu manifestieren.
Welche Nachbesserungen sind denn nun im Detail notwendig, um wirksame praxistaugliche Regelungen zu schaffen?
Angst: Die Meldung von Missständen unterhalb der Schwelle eindeutiger Rechtsverstöße ist vom Whistleblowerschutz im vorliegenden Referentenentwurf ausgenommen. Damit bleibt der Entwurf hinter dem des Gesetzes zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen zurück. Dieses lässt die Offenlegung einer rechtswidrigen Handlung oder eines beruflichen oder „sonstigen Fehlverhaltens“ zu, wenn dies im öffentlichen Interesse liegt. Aus Sicht der Führungskräfteverbände ist daher in dieser Frage eine Nachbesserung dringend erforderlich, um die im Koalitionsvertrag selbst gesteckten Ziele der Ampelparteien zu erreichen.
Ratay: Praxistauglichkeit ist der Dreh- und Angelpunkt für einen effektiven Whistleblowerschutz. Deshalb brauchen wir gesetzliche Regelungen, die nicht nur für Großunternehmen umsetzbar sind, sondern auch für den Mittelstand und für kleinere Organisationen. Denn dort stehen in der Regel deutlich weniger personelle und finanzielle Ressourcen für den Betrieb von Hinweisgebersystemen zur Verfügung. Aus Sicht von DICO sollten daher insbesondere die Anforderungen an die Rückmeldepflicht gegenüber den Hinweisgebern nicht überstrapaziert werden. Hier wäre unseres Erachtens eine allgemein gehaltene Darstellung der Aktivitäten der Meldestelle völlig ausreichend. Entscheidend ist, dass sich die hinweisgebende Person ein Bild zu machen kann, ob gegebenenfalls eine anderweitige Folgemeldung oder eine Offenlegung sinnvoll erscheinen.
Das Gleiche gilt auch für die Auskunftspflicht von Unternehmen gegenüber externen Meldestellen. Ein unzureichend definierter oder zu hoher Detaillierungsgrad wäre für viele Unternehmen problematisch. Vor diesem Hintergrund erscheint auch die vom Gesetzgeber beabsichtigte Sanktionierung bei unzureichenden Auskünften überzogen.
Wo besteht in den Unternehmen Handlungsbedarf?
Ratay: Hier muss man aktuell sicherlich differenzieren. Anders als die meisten Großunternehmen, müssen viele kleine und mittelständische Unternehmen erst einmal die grundlegenden Strukturen und Instrumente eines Hinweisgebersystems einrichten. Dies beginnt bei technischen und organisatorischen Vorkehrungen für der richtigen Behandlung von Meldungen, geht weiter mit der Durchführung von Aufklärungs- und Abhilfemaßnahmen und endet schließlich beim Umgang mit Personal- und Arbeitsrechtsfragen. DICO hat es sich zur Aufgabe gemacht, hierfür Standards und Hilfsmittel bereitzustellen, die für alle Unternehmenszuschnitte in differenzierte Weise umsetzbar sind.
Für alle Unternehmen ist dabei eine wertebetonte Unternehmenskultur in Bezug auf Whistleblowing entscheidend. Unternehmensleitung und Führungskräfte müssen sowohl in der Kommunikation als auch in ihrem Handeln deutlich machen, dass die Meldungen von verantwortungsvollen Hinweisgebern geschätzt werden und aufgrund dessen keine Repressalien zu befürchten sind.
Angst: Viele Unternehmen haben hierzulande bereits erfolgreich entsprechende Regelungen und Instrumente implementiert. Die Unternehmen sind nun gefordert, mittels leicht zugänglicher interner Meldeangebote Anreize zu schaffen, dass etwaige Rechtsverstöße möglichst innerhalb des Unternehmens gemeldet und dort aufgeklärt werden können. Als ULA hätten wir es dabei begrüßt, in dem Gesetz auch die Verpflichtung zur Einführung eines anonymen Meldeweges aufzunehmen. Wir werden uns dafür einsetzen, bei den anstehenden Beratungen im Bundestag noch Nachbesserungen zu erreichen.
ULA und DICO haben sich zum Ziel gesetzt, den Austausch zwischen den Complianceverantwortlichen und gerade den mittleren Führungsebenen in den Unternehmen zu intensivieren. Ziel ist es, praxisnahe Lösungsansätze zu erarbeiten und das gegenseitige Verständnis für die Herausforderungen zu stärken. So wurde auf dem ULA-Sprecherausschusstag im November 2021 das Thema „Compliance als Führungsaufgabe“ in einem gemeinsamen Workshop erfolgreich vertieft.
Kontinent im Krisenmodus
Quo vadis Europa?
Von Ludger Ramme
Die Europäische Union war nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs die Antwort der Gründungsstaaten auf Nationalismus, Egoismus, Krieg, Not und Vertreibung. An Armut und Entbehrung können sich nur die Ältesten erinnern. Und doch herrscht seit dem 24. Februar 2022 ein beklemmendes Gefühl in weiten Kreisen der Bevölkerungen in Deutschland und seinen Nachbarstaaten. Das Gespenst des Aggressors, des skrupellosen Machtmenschen, ist mit Wladimir Putin und seinem Überfall auf die Ukraine nach Europa zurückgekehrt.
Die ersten konzertierten Aktionen der EU mit der Verhängung heftiger Sanktionen und der abgestimmten Antwort auf den kriegerischen Akt Russlands wurden in den Mitgliedstaaten als Zeichen der Stärke gefeiert. Tatsächlich hat diese Einigkeit wohl auch den Kriegsherrn im Kreml überrascht. Noch mehr überrascht haben werden ihn aber die schweren Fehler seines Militärs und die heroisch kämpfende ukrainische Armee. Inzwischen jedoch treten die Anfangserfolge in den Hintergrund. Die ökonomischen Sanktionen haben sich als nicht nebenwirkungsfrei erwiesen. Die russische Wirtschaft ist inzwischen auf eine Kriegswirtschaft umgestellt worden. Die verlorenen Leben der Soldaten und die Entbehrungen der Bevölkerung spielen in der russischen Politik keine große Rolle.
Anders in Europa. Hier dämmert es den meisten, dass mit dieser Auseinandersetzung eine Zeitenwende stattfindet. Der Konflikt erschöpft sich nicht mit dem Schauen von Nachrichten und Reportagen: Das Thema Energieversorgung wird unser aller Leben direkt beeinflussen. In Deutschland wurde viel zu lange einem mit allen Wassern gewaschenen Verbrecher vertraut, der eiskalt seine Vorteile zieht. Dummerweise wurden ihm und seinem Regime 60 Prozent unseres Gasbedarfs anvertraut. Nun hält er uns im Würgegriff und wir müssen für unsere Versäumnisse in Europa büßen. Allerdings gibt es in Europa nur wenige, die unsere strikte Distanzierung und die Sanktionen gegen Putins Regime nicht unterstützen.
Auch in anderen Ländern Europas ändern sich die Betrachtungen. Da sind zunächst einige Staaten an der Peripherie, die Nutzen aus ihrer Lage ziehen. Die Türkei setzt alles daran, sich als geschickter Makler zwischen den Kriegsparteien zu profilieren. Dort regiert jemand, der zunächst seine eigenen Vorteile im Blick hat. Die Griechen nutzen ebenfalls die Gunst der Stunde: Mit ihrer riesigen Tankerflotte transportieren sie Rohöl und Gas zu traumhaften Frachtraten. Diese Beispiele sind aber nur wenige, denn insgesamt bemühen sich die EU-Mitgliedstaaten um Einigkeit – eine überaus erfreuliche Nachricht. Sie stärkt die Hoffnung, dass die europäische Einigung in Energiefragen, die bisher nur sehr langsam vorankam, durch die russische Bedrohung beflügelt wird. Die rücksichtslosen deutschen Alleingänge gerade in der Energiefrage haben sich als Sackgasse erwiesen. Die aktuelle Energiekrise muss im Zusammenhang mit der Klimakrise gesehen werden: Der Druck auf Zusammenarbeit und Koordinierung der EU-Mitgliedstaaten ist einem Zangengriff gleich durch beide Krisen gewachsen.
Führungskräfte kennen es aus ihren Unternehmen: In Krisenzeiten, wenn es ums Ganze geht, kommen erstaunliche Bewegungen und neue Lösungen zustande. Entweder das Unternehmen erfindet sich neu oder es scheidet aus dem Markt aus. Bei der EU wird es sich genauso verhalten: Entweder wir werden durch Einigkeit der Bedrohung etwas entgegensetzen oder aber Europa wird marginalisiert und seinen Einfluss in der Welt verlieren. Der klare proeuropäische Kurs der aktuellen Bundesregierung verdient jede Unterstützung. Gerade die großen Mitgliedstaaten Deutschland und Frankreich werden eine Schlüsselrolle in der Energiezusammenarbeit spielen. Wir müssen allesamt festgefahrene Positionen neu überdenken und offen sein für Lösungen, die einen fairen Ausgleich zwischen nationalen Präferenzen ermöglichen. Und wir müssen offen sein für Kooperationen mit Nachbarn außerhalb Europas. Der Druck ist da, der gute Wille auch.
Führungskräfte haben immer von Europa profitiert. Daher können sie auch in Zukunft Fürsprecher der EU sein und die Zusammenarbeit mit europäischen Kollegen stärken. Der Vorzug der EU ist das große Know-how im Interessenausgleich. Verhandlungslösungen sind oft mühsam, aber jede Anstrengung wert.
Politik-Dialog von ULA und bdvb
Schreckgespenst Inflation – Ausblicke und Handlungsoptionen
Im Mittelpunkt des ersten gemeinsamen Politik-Dialogs der ULA und des Bundesverbands Deutscher Volks- und Betriebswirte (bdvb) hat Ende Mai 2022 die Inflationsproblematik gestanden. Der niedersächsische Finanzminister Reinhold Hilbers und Prof. Friedrich Heinemann, Leiter des Forschungsbereichs „Unternehmensbesteuerung und EWÖffentliche Finanzwirtschaft“ des Leibniz-Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), zeigten den mehr als 70 teilnehmenden Führungskräften in ihren Eingangsstatements auf, wie sich die hohe Inflation auf die Bürger und Unternehmen in Deutschland auswirken wird.
„Auch wenn die aktuell sehr hohe Inflation zu einem guten Teil durch die Pandemie und den Ukraine-Krieg getrieben ist, ist eine Rückkehr zur Preisstabilität in der Eurozone überhaupt nicht selbstverständlich“, konstatierte Friedrich Heinemann. „Langfristig sprechen der sich demografisch verschärfende Arbeitskräftemangel und die Energietransformation eher für dauerhaft höhere Inflationsraten.“ Außerdem zeigte sich Heinemann besorgt über die derzeitige Schuldensituation in der Eurozone: „Vor allem aber werfen die sehr hohen Schuldenstände einiger Eurostaaten die Frage auf, wie viel Spielraum die EZB überhaupt für Zinserhöhungen zur Inflationsbekämpfung noch hat.“
Die Inflation drohe sich festzusetzen, mahnte Niedersachsens Finanzminister Reinhold Hilbers. Ein Ende sei nicht abzusehen. „Inflation bedeutet Wohlstands- und Kaufkraftverluste für die breite Mitte der Gesellschaft und betrifft vor allem einkommensschwache Haushalte.“ Wichtig sei eine gezielte Entlastung. Kurzfristige Unterstützungsmaßnahmen mit der Gießkanne lehnte der Minister ab. „Der Staat kann nicht alles kompensieren.“ Das Problem könne nur gelöst werden, wenn die EZB ihre lockere Geldpolitik beende. „Für Deutschland fordere ich seit Langem eine weniger expansive Fiskalpolitik und einen Stopp der Neuverschuldung. Neue Schulden treiben die Inflation an.“ Daneben gelte es, Bürger und Wirtschaft steuerlich entlasten, um Wachstum zu fördern. „Nötig sind deshalb eine Reform der Unternehmensteuern und ein zügiger Abbau der kalten Progression. Der Staat darf nicht von der Inflation profitieren.“
Der Präsident des ULA-Mitgliedsverbandes bdvb Willi Rugen bekräftigte die Meinung der Referenten und warnte: „Laut einer noch unveröffentlichten Umfrage zur derzeitigen Inflationsentwicklung schätzt eine Mehrheit unserer Mitglieder die Gefahr einer Stagflation als hoch bis sehr hoch ein. Eine Bekämpfung der Inflation durch staatliche Eingriffe in den Preismechanismus lehnen wir ab. Dies ist Aufgabe der EZB, die diese jetzt aber mit dem Einsatz des ihr zur Verfügung stehenden geldpolitischen Instrumentariums auch wahrnehmen muss.“ Rugen wies darauf hin, dass die hohen Preise für Öl und Gas auch eine Chance seien: „Die relativen Preise auf den Energiemärkten stellen für Verbraucher einen Anreiz dar, Energie effizienter zu nutzen und von fossilen auf erneuerbare Energieträger umzurüsten.“
ULA-Präsident Roland Angst mahnte: „Wir alle spüren die Inflation derzeit täglich – ob im Supermarkt, an der Tankstelle oder auf der Stromkostenrechnung. Nach Jahren niedriger Inflationsraten ist sie damit derzeit eines der Hauptthemen in Deutschland.“ Statt Aktionismus gelte es, ordnungspolitische Grundsätze wie solide Haushaltsführung und einen Fokus auf Investitionen in Wachstumsbereiche zu wahren. „Wir müssen Leistungsträger dauerhaft dazu in die Lage versetzen, Leistung zu erbringen und Verantwortung übernehmen zu können.“ Der ULA-Präsident dankte zudem den zahlreichen Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus beiden Verbänden. Die hohe Beteiligung zeige, dass die Themensetzung dieses ersten gemeinsam vorbereiteten Politik-Dialogs aktueller nicht hätte sein können.
Aktuelle Seminare
Karriereentwicklung durch Weiterbildung
Gerade in Zeiten der Krise und der wachsenden wirtschaftlichen Unsicherheit lohnt es sich, in die eigene Weiterbildung zu investieren. Dazu bietet das Führungskräfte Institut (FKI) Seminare an. Weitere Informationen gibt es auf www.fki-online.de.
Souverän präsentieren und auftreten – Vertiefungsseminar
18. August 2022 – Webseminar – zweieinhalb Stunden
Exzellentes Fachwissen ist das eine – es wirkungsvoll zu präsentieren, ist das andere. In diesem Seminar erläutert Autor und Managementtrainer Peter A. Worel, wie Fach- und Führungskräfte bei Präsentationen Langeweile im Zuhörerkreis vermeiden und schwierige Zwischenfragen sowie Diskussionsrunden meistern.
VAA-Sprecherausschusskonferenz 2022
16. und 17. September 2022 – Essen – Ruhrturm Event- und Konferenzzentrum
Wie lässt sich die Sprecherausschussarbeit erfolgreich gestalten? Dazu gibt es auf der VAA-Sprecherausschusskonferenz einen Austausch über Praxisbeispiele und verschiedene Workshops, unter anderem zu erfolgreichen Verhandlungsstrategien, zum Arbeitsrecht, zu den Mitwirkungsrechten und zur Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat.
Abfindungen effizient gestalten
20. September 2022 – Webseminar – zwei Stunden
Verlassen Beschäftigte ihr Unternehmen gegen Zahlung einer Abfindung, können sie durch die richtige Gestaltung hohe Steuerersparnisse erzielen. Rechtsanwalt Gerhard Kronisch, Finanz- und Vermögensexpertin Marion Lamberty sowie Steuerberater Lutz Runte erklären die Grundlagen und geben Tipps für Optimierungsmaßnahmen.
Vorschau der ULA-Termine
Im Laufe des Jahres führt der Deutsche Führungskräfteverband ULA weitere Dialogveranstaltungen zu verschiedenen Themen aus Politik, Wirtschaft und Arbeit durch, die für Führungskräfte relevant sind. Den Rahmen bilden die Veranstaltungsformate „ULA-Politik-Dialog“ und „ULA-Führungskräfte-Dialog“.
ULA-Führungskräfte-Dialog
15. September 2022
Thema: Vorstellung der Führungskräftestudie.
Uhrzeit: 19:00 bis 21:00 Uhr
Ort: Frankfurt am Main
ULA-Führungskräfte-Dialog (digital)
20. September 2022
Thema: New Work Utopia
Referent: Prof. Carsten Schermuly
Uhrzeit: 17:00 bis 18:00 Uhr
Ort: digital
ULA-Führungskräfte-Dialog
15. November 2022
Thema: Vorstellung der Führungskräftestudie.
Uhrzeit: 18:00 bis 20:00 Uhr
Ort: voraussichtlich Köln
Alle Informationen zu den Veranstaltungen und die Onlineanmeldung sind rechtzeitig unter www.ula.de zu finden.