Erik Lehmann hat das Wort

Heiteres Berufesterben

Erik Lehmann hat das Wort

Heiteres Berufesterben

Wir müssen reden. Über die Zukunft. Als Vater von drei Kindern fällt mir in letzter Zeit immer mehr auf, dass eine Frage, wie sie mir in Kindertagen noch mit ernster Miene und bedeutungsschwangerem Unterton gestellt wurde, nämlich: „Was willst Du mal werden?“, heute kaum noch relevant erscheint. Zunächst kann man diese Frage ganz allgemein betrachten, fast schon philosophisch: Denn am besten wird man das, was man schon ist – man selbst. Das kann aber ein ziemlicher Casus knacksus sein, denn viele wissen gar nicht, wer sie sind – und das meine ich jetzt nicht non-binär. Ich bin Kabarettist geworden. Wenn ich es nicht schon immer war. Bereits in der Grundschule der Klassenclown, habe ich mir aus fast allem einen Spaß gemacht und gehe heute, trotz meines Halbwissens, mit entsprechender Redegewandtheit, als – dem Anschein nach – Universalgelehrter durch. Zugegeben: Ein bisschen Fleißarbeit und ehrliches Handwerk spielen dabei auch eine Rolle. Zum Beispiel käme ich nie auf die Idee, statt zu recherchieren und mir eine satirische Haltung zu einem Thema zu bilden, eine Kolumne von einer KI schreiben zu lassen. So, wie es die Jugend heutzutage mit ihren Hausarbeiten macht, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Aber vielleicht bin ich mit meinen vier Jahrzehnten auch schon zu alt für sowas.

Meine Kinder jedenfalls haben bisher noch keinen Berufswunsch im Blick. Wie auch bei diesem Überangebot? Mittlerweile kann man an deutschen Hochschulen und Universitäten aus über 21.000 Studiengänge auswählen. Vor fünfzehn Jahren gab es „nur“ 13.000 Auswahlmöglichkeiten. Aber wer möchte auf die Ausbildung zum Onomastiker verzichten; Fachwissen im Gebiet der Promenadologie oder der Eurythmie außer Acht lassen oder versäumen, Sprachkenntnisse im Bereich der Friesischen Philologie sowie Sorabistik zu erlangen? Eben! Und da hilft es auch wenig, wenn man als Eltern den Kindern rät: „Lerne was Vernünftiges!“ – denn die im Vergleich putzige Gruppe von etwa 320 staatlich anerkannten Ausbildungsberufen wird seit Jahren immer kleiner. Da lob ich mir die Standardberufswünsche von Vorschulkindern: Feuerwehrmann und Ärztin. Kleine Kinder haben es noch, dieses gesunde Bauchgefühl – denn Klimawandel und die Boomergeneration machen diese beiden Berufe zukunftssicher.

Apropos Zukunft: Kommen wir zurück zur Ausgangsfrage: „Was willst Du werden?“ – denn aus beruflicher Perspektive lohnt es kaum noch darüber nachzudenken, denn Roboter und KI übernehmen zusehends. Alles wird zur App. Schon die 2013 veröffentlichte Oxford-Studie ließ den Schluss zu, dass Digitalisierung zu Dematerialisierung führt und somit innerhalb von zwanzig Jahren knapp fünfzig Prozent aller Jobs hierzulande wegfallen könnten. Mittlerweile ist Halbzeitbilanz und siehe da: Bisher läuft‘s noch. Doch die rasanten Entwicklungen der letzten Zeit lassen aufhorchen. Vielleicht ist die Hälfte von uns 2033 doch arbeitslos? Obwohl der Blick ins Geschichtsbuch zeigt: Heiteres Berufesterben gab es schon immer. Fischbeinreißer ist heute keiner mehr, weil der Rokoko-Reifrock aus der Mode ist und keine elastischen Hornplatten des grönländischen Bartenwales mehr gespalten werden müssen, um oben genannte Bekleidung beziehungsweise Sonn- und Regenschirme zu bestreben. Auch Ameisler, Prügelknaben, Abtritt-Anbieterinnen, Aufwecker, Eis-Säger, Flatulisten, Ziechenweber, Treidler, Posamentierer, Wichsenmacher, Telefonisten, Kesselflicker oder Pechler sucht man vergebens in den Gelben Seiten. Dafür gibt es heute „Jobs“, die man sich vor zwanzig Jahren nicht erträumt hätte – zumal es teilweise auch Alpträume sind, wenn ich dem Medienkonsum meiner heimischen Brut vor den Endgeräten aus Versehen mal beiwohnen muss: Influencerin zum Beispiel, das ist der Berufswunsch derer, die vor zehn Jahren noch Ärztin werden wollten – oder YouTuber, die ehemals zukünftigen Feuerwehrmänner. Sei‘s drum, Berufe kommen und gehen. Und manchmal tauchen sie auch wieder auf: Der Hofnarr mag tot sein, doch lang lebe der Kabarettist!

Mit seinen verschiedenen Kabarettprogrammen reist der Dresdner Kabarettist Erik Lehmann quer durch Deutschland und hat auch schon diverse Preise gewonnen. Unter dem Pseudonym Uwe Wallisch vertreibt der passionierte Hobbyimker zudem seinen eigenen Honig. Auf der Website www.knabarett.de ist Lehmann jederzeit käuflich und bestellbar. Honig gibt es auf uwes-landhonig.de.