Interview mit Dr. Torsten Glinke

Wie viel bietet der VAA-Rechtsschutz?

2024 liegen die Fallzahlen beim VAA-Rechtsschutz so hoch wie nie zuvor zu diesem Zeitpunkt im laufenden Jahr. Was genau aber dürfen die Mitglieder des VAA eigentlich an konkreter Unterstützung erwarten? VAA-Jurist Dr. Torsten Glinke gibt Antworten und erläutert, wie der Juristische Service des Verbandes genau funktioniert.

VAA Magazin: „Juristischer Service des VAA“ – was bedeutet das eigentlich? Was kann ich als Mitglied konkret erwarten, wenn ich ein rechtliches Problem habe?

Glinke: Im Grunde ist die Sache ganz einfach: Unsere Mitglieder können sich in allen arbeitsrechtlichen und sozialversicherungsrechtlichen Fragen vertrauensvoll an die VAA-Juristinnen und -Juristen in der Kölner Geschäftsstelle und dem Berliner Büro des Verbandes wenden. Diese stehen dann sehr zeitnah mit Rat und Tat zur Seite.

Welche Vorteile hat denn der VAA-Rechtsschutz gegenüber einer allgemein üblichen Rechtsschutzversicherung?

Eine ganze Menge. Tatsächlich lässt sich der Rechtsschutz des VAA kaum mit einer Rechtsschutzversicherung vergleichen. Denn der VAA bietet viel, viel mehr.

Was konkret?

Zunächst einmal setzt die Einstandspflicht von Rechtsschutzversicherungen nach deren Bedingungen grundsätzlich erst dann ein, wenn ein sogenannter Rechtsschutzfall vorliegt. Das setzt voraus, dass der Arbeitnehmer geltend machen muss, dass der Arbeitgeber gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten verstoßen hat, also zum Beispiel eine unberechtigte Kündigung ausgesprochen, zu wenig Gehalt gezahlt oder Urlaub gewährt oder ein zu schlechtes Zeugnis ausgestellt hat. Tatsächlich beginnen arbeitsrechtliche Themen für Arbeitnehmer aber häufig viel früher.

Inwiefern?

Zum Beispiel bei der Vertragsprüfung, sei es zur Begründung eines neuen Arbeitsverhältnisses oder bei Vertragsänderungen in einem bestehenden Arbeitsverhältnis oder bei der Prüfung von Zeugnissen. Dies zu prüfen und unsere Mitglieder zu beraten, ist ein ganz wesentlicher Teil unserer Leistung. Mit einem Rechtsschutzfall im Sinne der Bedingungen von Rechtsschutzversicherungen hat das aber nichts zu tun. 

Und außerdem?

Häufig sind Arbeitnehmer einfach nur unsicher, ob überhaupt ein Anspruch gegenüber dem Arbeitgeber besteht, zum Beispiel, ob der Bonus in der korrekten Höhe ausgezahlt oder die betriebliche Altersversorgung richtig angepasst wurde. Sie suchen dann in erster Linie Klarheit und gegebenenfalls erst später ihr Recht. Die VAA-Juristen schaffen diese Klarheit. Rechtsschutzversicherungen kommen hierfür in aller Regel nicht auf. 

Sie beschränken sich aber nicht nur darauf, oder?

Selbstverständlich nicht. Natürlich unterstützen wir unsere Mitglieder auch bei der Geltendmachung und Durchsetzung ihrer Ansprüche.

Wie sieht das aus?

Das kommt darauf an: Oft genügt es schon, wenn wir unser Mitglied über seine rechtliche Situation informieren und mit dem Mitglied gemeinsam eine Strategie dazu erarbeiten, wie das Mitglied selbst mit dem Arbeitgeber umgeht. Das führt erstaunlich oft schon zu einer zufriedenstellenden finalen Lösung, selbstverständlich aber nicht immer.

Was dann?

Dann treten wir auf den Plan, meist, indem wir für unser Mitglied die Kommunikation mit dem Arbeitgeber übernehmen. Das beschränkt sich dann nicht nur auf die Geltendmachung von Ansprüchen. Bei Bedarf verhandeln wir auch für das Mitglied mit dem Arbeitgeber.

Und wenn das zu keinem zufriedenstellen Ergebnis führt?

Bleibt immer noch die Klärung beim Arbeitsgericht.

Wie unschön.

Keineswegs! Zum einen ist es doch ein normaler Vorgang, dass zwei Seiten eine rechtliche Frage unterschiedlich beurteilen können. Dies dann sachlich und professionell durch ein Gericht klären zu lassen, ist nichts Ehrenrühriges. Zum anderen besteht ja für unsere Mitglieder kein Kostenrisiko, weil der VAA die Kosten trägt. Außerdem haben die VAA-Juristen kein Interesse daran, die Mitglieder in sinnlose Rechtsstreitigkeiten zu treiben. Sie beraten ohne jedes wirtschaftliche Eigeninteresse, objektiv und ergebnisorientiert.

Was sind denn die am häufigsten wiederkehrenden Themen?

Kündigungsschutzklagen sind natürlich ein großes Thema und für unsere Mitglieder wegen der Tragweite einer Kündigung besonders wichtig. Gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten ist für viele Unternehmen der Personalabbau ein häufig gewähltes Mittel zur Kosteneinsparung. Dabei geht es aber nicht nur um betriebsbedingte Kündigungen: Auch verhaltensbedingte oder personenbedingte Kündigungen kommen vor.

Und ansonsten?

Oft geht es einfach auch nur ums Geld, zum Beispiel um zu niedrige Bonuszahlungen, weil der Arbeitgeber meint, die Performance von Mitarbeitern schlecht bewerten zu können. Aktuell befassen wir uns zudem ausgiebig mit dem Abstandsgebot zwischen Tarif- und AT-Vergütung gemäß der einschlägigen Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Rheinland Pfalz aus dem Jahr 2022. Da klagen wir für unsere AT-Mitglieder zum Teil fünfstellige Differenzbeträge ein.

Sie sprachen das Thema „Zeugnis“ an. Wie sieht es damit aus?

Tatsächlich lassen sich Meinungsverschiedenheiten zwischen Mitarbeitern und Unternehmen häufig nicht ohne uns lösen, weshalb unsere Mitglieder dann unsere Unterstützung suchen. Wenn wir dann für das Mitglied das Unternehmen kontaktieren, geht es oft überraschend konstruktiv weiter.

Warum das?

Mein persönlicher Eindruck ist, dass Zeugniskorrekturen Unternehmen und Vorgesetzten oft lästig sind und der damit verbundene Aufwand gemieden werden  soll. Daher wird häufig gegenüber dem Mitarbeiter gar nicht oder ablehnend reagiert, in der Hoffnung, dass sich das von allein erledigt. Wenn wir dann auf den Plan treten, ändert sich das natürlich. Dann ist klar, dass „Aussitzen“ keine Option mehr ist. 

Sind Klagen dennoch nötig?

Leider ja. Aber auch das ist kein Problem. In meinen bald 18 Jahren beim VAA endete noch jede meiner Zeugnisklagen mit einem Vergleich. Ein Urteil gab es nie.

Wie kann das sein?

Auch das ist eine Frage der Lästigkeit. Spätestens wenn das Unternehmen zum Gütetermin erscheinen muss und klar wird, dass weitere Korrespondenz und weitere Gerichtstermine, eventuell mit der Vernehmung von Mitarbeitern, Kollegen, Vorgesetzten und Geschäftspartnern, erforderlich werden könnten, führen betriebswirtschaftliche Erwägungen auf Arbeitgeberseite dazu, die eigene Position nochmal zu überdenken.

Erfasst der Juristische Service nur das Arbeitsrecht?

Nein, das Sozialrecht ist auch abgedeckt, wenn der Bezug zum Arbeitsrecht gegeben ist.

Haben Sie ein Beispiel?

Wir haben viele Mitglieder in der berufsständischen Altersversorgung, die sich für ihre Tätigkeit von der Rentenversicherungspflicht bei der Deutschen Rentenversicherung Bund befreien lassen wollen, insbesondere Ärzte und Apotheker. Wenn die Befreiung nicht funktioniert, führen wir dafür dann auch Prozesse bei den Sozialgerichten.

Können Sie zum Schluss noch etwas zu den Kosten sagen? 

Sämtliche außergerichtlichen Tätigkeiten sind über die Mitgliedschaft abgedeckt. Und auch bei Prozessen vor den Sozial- und Arbeitsgerichten trägt der VAA alle Kosten. Es gibt keine Selbstbeteiligung und auch keine anderen versteckten kosten für unsere Mitglieder. Lediglich bei Streitigkeiten vor den Landgerichten in Fällen von Arbeitnehmererfindungen sind die Kosten gedeckelt. Das kommt aber sehr selten vor und wird dann vorab mit den Betroffenen individuell besprochen.

Urteil

Außerordentliche Kündigung nach Gefälligkeitsleistung im Marktbereich des Arbeitgebers?

Unter bestimmten Bedingungen sind von Beschäftigten gegenüber Kunden eines Unternehmens angebotene geringfügige und unentgeltliche Gefälligkeitsleistungen in deren Marktbereich nicht als wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung geeignet. Das hat das Landesarbeitsgericht Hamm entschieden.

Für eine solche Einschätzung der Rechtslage gilt die Voraussetzung: Die Leistung wird außerhalb der Arbeitszeit erbracht und geschützte Markt- oder Wettbewerbsinteressen des Arbeitgebers werden dadurch nicht berührt. Im konkreten Fall war ein Arbeitnehmer seit Oktober 2022 in einem Fliesenfach- und Natursteinhandel nebst handwerklichem Meisterbetrieb für Verlegearbeiten als Fliesenleger beschäftigt. Dem Arbeitsverhältnis lag ein undatierter schriftlicher Arbeitsvertrag zugrunde, laut dem der Arbeitnehmer für regelmäßig 40 Wochenstunden und eine Stundenvergütung in Höhe von 22,61 Euro ein Monatseinkommen in Höhe von rund 4.200 Euro brutto erzielte. Im Vertrag wurde eine Probezeit von drei Monaten vereinbart, nach deren Ablauf für beide Parteien eine Kündigungsfrist von vier Wochen galt. Der Arbeitnehmer ist mit einem Grad der Behinderung von 80 als schwerbehinderter Mensch anerkannt.

Anfang Januar 2023 führte der Arbeitnehmer über mehrere Tage für das Unternehmen Fliesenarbeiten aus. Dabei kam es zu einem Gespräch mit den Eigentümern des Bauvorhabens darüber, ob der Arbeitnehmer bereit sei, über den vereinbarten Auftragsgegenstand hinaus im Hauswirtschaftsraum (Fläche circa fünf Quadratmeter) Bodenfliesen zu verlegen. Der Arbeitnehmer erklärte seine Bereitschaft, diese Arbeiten „nach Feierabend“ durchzuführen. Zur Ausführung der fraglichen Arbeiten kam es jedoch nicht. Kurz darauf beanstandeten die Eigentümer die ausgeführten Arbeiten gegenüber dem Unternehmen. Im Rahmen entsprechender Nacharbeiten wurde die Geschäftsführerin des Unternehmens von den Eigentümern des Bauvorhabens darauf aufmerksam gemacht, dass der Arbeitnehmer bereit gewesen sei, den Hauswirtschaftsraum außerhalb des mit dem Unternehmen begründeten Vertragsverhältnisses zu verfliesen. Daraufhin konfrontierte die Geschäftsführerin den Arbeitnehmer mit diesem Sachverhalt. In dem handschriftlichen Vermerk über das Gespräch ist festgehalten, dass der Arbeitnehmer eingeräumt habe, sich „für weitere Fliesenarbeiten im Hause als Schwarzarbeit“ angeboten zu haben.

Am folgenden Tag kündigte das Unternehmen das Arbeitsverhältnis fristlos und forderte den Arbeitnehmer auf, das ihm überlassene Firmeneigentum, unter anderem Arbeitskleidung und Werkzeug, unverzüglich herauszugeben. Gegen diese Kündigung wandte sich der Mitarbeiter mit einer Kündigungsschutz- und Feststellungsklage. Er verwies darauf, dass der für die außerordentliche Kündigung geforderte wichtige Grund nicht vorliege. Entgegen der Darstellung des Unternehmens habe er weder Schwarzarbeit angeboten noch solche ausgeführt. Dementsprechend habe er das auch nicht in einem Personalgespräch eingeräumt. Das Arbeitsgericht wies die Klage jedoch ab.

Vor dem Landesarbeitsgericht (LAG) Hamm hatte der Arbeitnehmer hingegen Erfolg (Urteil vom 15.02.2024, Aktenzeichen: 8 Sa 845/23). Das LAG entschied, dass eine in einem Einzelfall vom Arbeitnehmer gegenüber einem Kunden des Arbeitgebers angebotene, dem Umfang nach geringfügige und unentgeltliche Gefälligkeitsleistung in dessen Marktbereich nicht bereits an sich als wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung geeignet ist, wenn sie außerhalb der Arbeitszeit erbracht werden sollte und dadurch geschützte Markt- oder Wettbewerbsinteressen des Arbeitgebers nicht berührt werden. Auf die rechtliche Einordnung der fraglichen Leistung als Schwarzarbeit komme es dabei nicht an.

VAA-Praxistipp

Das Urteil des LAGs Hamm zeigt: Die Grenzen für Gefälligkeitsleistungen im Marktbereich des eigenen Arbeitgebers sind eng gesteckt, ein entsprechendes Angebot durch einen Arbeitnehmer rechtfertigt aber nicht ohne Weiteres eine außerordentliche Kündigung.

Dieser Artikel ist erstmals im VAA Newsletter in der Juniausgabe 2024 veröffentlicht worden.

Auf der Mitgliederplattform MeinVAA unter mein.vaa.de stehen für eingeloggte VAA-Mitglieder zahlreiche Infobroschüren zu arbeitsrechtlichen Themen zum Download bereit.