Recycling von Kunststoffen
Vom Charme des alten Schaums
Von Timur Slapke und Simone Leuschner
2023 beschäftigt sich das Jahrbuch des VAA mit der gesellschaftlichen Akzeptanz der Chemie. Für das Gelingen der Transformation in Richtung eines nachhaltigen Wirtschaftens ist sie unerlässlich, auch im Bereich chemischer Recyclingtechnologien für Kunststoffe. Gerade hier bedarf es der Aufklärung in der Bevölkerung, sowohl bezüglich des Aufbaus von Chemieanlagen als auch der recycelten Produkte selbst. Mit chemischem Recycling werden alte Kunststoffprodukte bis auf die einzelnen Moleküle oder Zwischenprodukte heruntergebrochen, um die ölbasierten Rohstoffe zu ersetzen. Dies ist auch das Ziel eines großangelegten, von der EU geförderten Projekts, das sich auf Polyurethan-Hartschäume konzentriert.
Als „aus dem Gleichgewicht geraten“ bezeichnet Lanzatech-CEO Jennifer Holmgren die lineare Kohlenstoffwirtschaft in der Publikation „The World Ahead 2024“ des britischen Nachrichtenmagazins The Economist. Das „Nehmen-, Herstellen-, Verschwenden-System“ sei tief in der Gesellschaft verankert – aber unhaltbar. Mit Lanzatech entwickelt Holmgren Technologien zur Gasfermentation, um neue und effiziente Wege zur Gewinnung von Ethanol, Kerosin und Chemikalien zu finden und industrielle Abfallströme unter anderem aus Stahlhütten und Raffinerien wiederzuverwerten. „Um das Leben auf der Erde zu schützen, müssen wir diese extraktive, lineare Kohlenstoffwirtschaft als Kreislaufmodell neu denken“, schreibt Holmgren. „Wir müssen die vielen Formen kohlenstoffreicher Abfälle als wertvolle, reichlich vorhandene Ressourcen betrachten und nicht als unvermeidliche, schädliche Belastungen.“
Nicht nur Holmgren weiß: Von einer echten Kreislaufwirtschaft ist die Industrie noch weit entfernt. Um eine solch große Herausforderung zu meistern, ist Zusammenarbeit nötig, und zwar sowohl zwischen Unternehmen und Forschungseinrichtungen im Einzelnen als auch zwischen Verbrauchern, Industrie und Politik im großen Ganzen. Das gilt auch für die Herstellung und Verarbeitung von Kunststoffen. Erst kürzlich hat der Verband der Kunststoffindustrie Plastics Europe dazu seine Roadmap unter dem Titel „The Plastics Transition“ vorgestellt: Ziel der Branche ist die Transformation hin zu einer zirkulären Wirtschaft mit Nullemissionen bis spätestens 2050.
Um dieses Ziel zu erreichen, kommt es auf die Entwicklung des chemischen Recyclings an, betont Dorota Pawlucka vom Polymerspezialisten Covestro aus Leverkusen. Für ihr Unternehmen sei es essenziell, „fully circular“ zu werden. „All unsere Materialien sind wichtig für die Gesellschaft und für den Klimaschutz, aber wir müssen gewährleisten, dass wir sie aus dem Abfall heraus- und in den Rohstoffkreislauf wieder hineinbekommen.“ Nach und nach sollen fossilbasierte Rohstoffe komplett ausgetauscht werden. „Salopp formuliert: Wir zapfen die Abfallhalden als Rohstoffquelle an.“ Am besten gelingt dies über einen systemübergreifenden Anspruch. „Dazu sollte man am besten möglichst die gesamte Wertschöpfungskette ganzheitlich abbilden und auch alle Stakeholder einbinden, die für die Marktreife notwendig sind.“
Als Alliances Manager in der Innovationsabteilung unterstützt Pawlucka die Forschungs- und Entwicklungskooperationen ihres Unternehmens mit externen Partnern. Ihr Fokus liegt auf EU-geförderten Vorhaben. Sie ist an der Entwicklung von Förderprogrammen in Brüssel beteiligt und zurzeit die EU-Koordinatorin des auf vier Jahre angelegten Projekts „Circular Foam“. Zusammen mit ihren Kolleginnen Dr. Stefanie Eiden und Dr. Catherine Lövenich hat Dorota Pawlucka das Projekt initiiert und den Aufbau des Konsortiums geleitet. „Nachdem wir erste Erfolge mit Weichschaumrecycling bei Matratzen erzielt haben, war es naheliegend, auch Hartschäume für Dämmplatten, Metallpaneele und Kühlschränke in Angriff zu nehmen“, berichtet Catherine Lövenich, die seit 20 Jahren bei Covestro und den Vorgängerunternehmen im Bayer-Konzern arbeitet. Für die Circular-Economy-Projekte beschäftigt sich die Chemikerin mit der Chemolyse und leitet das Arbeitspaket zum chemischen Recycling in Circular Foam.
„Bei Covestro unterscheiden wir zwischen drei Formen des chemischen Recyclings: katalytischer Pyrolyse, Chemolyse und enzymatischem Recycling“, erklärt Lövenich. „Für unterschiedliche Zielmoleküle und unterschiedliche Abfallströme sind unterschiedliche Recyclingtechnologien am besten geeignet. Es kommt immer auf die spezifische Anwendung an.“ Bei Hartschäumen schauen sich Lövenich und Eiden die katalytische Pyrolyse und die Chemolyse an, um Vor- und Nachteile für beide Recyclingtechnologien zu untersuchen. „Um ein wirklich gutes Polyol in der Chemolyse zu haben, muss man vorher genau aussortieren“, ergänzt Stefanie Eiden. „Wenn man kleinere Abfallströme hat, die nicht so gut sortierbar sind oder stark gemischt sind, da bietet sich eher die Pyrolyse an.“
Vermeidung von Emissionen
Eiden arbeitet schon 18 Jahre beim Unternehmen, seit zehn Jahren im Bereich Prozessentwicklung. Im Rahmen der Circular Economy ist die Chemikerin zuständig für alle Aktivitäten rund um die Pyrolyse, bei Circular Foam ist sie die technische Projektleiterin. „Wir versuchen, möglichst wenig herunterzubrechen, weil die CO2-Emissionen im Recyclingprozess so auch geringer sind. Jeder zusätzliche Prozessschritt braucht zusätzliche Energie, auch beim Recycling.“ Man müsse immer die gesamte Lebenszyklusanalyse betrachten: „Hier dürfen Recyclingtechnologien am Ende nicht mehr CO2 emittieren als fossilbasierte Technologien. Das ist die Herausforderung, der wir uns stellen.“
Je nach Produkt, ob Kühlschrank oder Baustoff, kommen am Ende ganz unterschiedliche Polyole heraus. „Mischt man diese Polyole, sind sie nicht so gut wie die Polyole, die etwa nur in der Appliance-Industrie verwendet werden“, benennt Catherine Lövenich das Problem. „Wir wollen recycelte Polyole in einer sehr hohen Qualität herstellen, damit sie mit einem möglichst hohen Anteil im neuen Schaum eingesetzt werden können, also nah am geschlossenen Kreislauf.“ Einige Verluste werde man immer haben, etwa beim Einsammeln oder Aussortieren, aber das Projektteam mit seinen insgesamt 23 Partnern entlang der gesamten Wertschöpfungskette will nah herankommen. „Dafür brauchen wir möglichst gut sortierten Input.“
Momentan erhalten Recyclingfirmen nichts fürs Trennen der Schäume. „Einen kleinen Push gibt es, weil die Verbrennung bezahlt werden muss“, erklärt Lövenich. Daher seien die Abfallfirmen schon jetzt froh, wenn das chemische Recycling mit der Zeit ein „Auslass“ für die Schäume werden könnte. „Wenn sie aber für die Lieferung der Schäume als Rohstoff zusätzlich bezahlt werden, gibt das noch einen zusätzlichen Push für die genauere Abfalltrennung“, ergänzt Stefanie Eiden.
Normalerweise dauert eine technologische Verfahrensentwicklung bis zum Industriemaßstab zehn bis 15 Jahre. „Wir haben erst zwei Jahre hinter uns“, sagt Eiden. Und zur Projekthalbzeit sei man mehr als zufrieden. Das findet auch Chemolyse-Expertin Catherine Lövenich: „Unsere ersten Ergebnisse sind wirklich gut. Die Herausforderungen, die sich gezeigt haben, hatten wir auch so erwartet. Ich bin da insgesamt positiv gestimmt.“
Bei der Pyrolyse hätte Stefanie Eiden nicht gedacht, dass man bereits so schnell in einen größeren Maßstab gekommen ist. „Das war eigentlich fürs letzte Projektjahr geplant.“ Bei manchen Prozessschritten sehe das Team Verbesserungspotenzial, etwa bei der Qualität der Wunschmoleküle. „Es gibt ab und zu schon Herausforderungen, die wir nicht auf dem Schirm hatten, aber ich bin trotzdem zufrieden. Ich gehe davon aus, dass wir unsere Ziele erreichen werden.“
Ebenfalls zuversichtlich ist Projektkoordinatorin Dorota Pawlucka: „Das Projekt verfolgt einen breiten systemischen Ansatz. Neben den Recyclingtechnologien werden Sammel- und Sortierkonzepte entwickelt und das Material und Produktdesign optimiert, inklusive des Digital Product Passport.“ Darüber hinaus helfen optimierte Logistikszenarien unter Berücksichtigung von Resourcen- und Kosteneffizienz sowie der Fussabdruckszenarien (LCA), das gesamte System ganzheitlich zu erfassen. „Gemeinsam mit unseren Partnern haben wir in allen diesen Bereichen bereits sehr gute Fortschritte erzielt.“
Aber wie sieht es mit der gesellschaftlichen Akzeptanz aus? Mit dieser Frage beschäftigen sich Jana Wegener vom Centrum für Umweltmanagement, Ressourcen und Energie (CURE) an der Ruhr-Universität Bochum und Patryk Białas, Leiter Kompetenz und Innovation am Euro-Centrum Wissenschafts- und Technologiepark im polnischen Kattowitz. Wegener koordiniert das Arbeitspaket zur Untersuchung der drei im Projekt ausgewählten Modellregionen: der Metropolregion Amsterdam, dem Rheinischen Revier und der Region Oberschlesien in Polen. „Die regionale Betrachtung beinhaltet alle relevanten Stakeholder“, berichtet Wegener. „Wir schauen, wo Kollaborationen stattfinden und wo es Hindernisse gibt.“
Gestartet ist Jana Wegeners Team mit einer grundlegenden Analyse, dem „Regional Readiness Report“. „Das war eine Bestandsaufnahme des Status quo in den Regionen. Die Readiness bezieht sich auf nichttechnologische Aspekte der Umsetzung eines zirkulären Systems.“ Ergänzend gab es ein Stakeholder Mapping in Bezug auf den spezifischen Stoffstrom und auf die zirkuläre Wirtschaft generell. Patryk Białas geht ins Detail: „Wir haben eine Matrix entwickelt: Zunächst haben wir den Stand der Transformation analysiert, dann die Politik in der Region einbezogen. Danach kamen die Wirtschaft und die Kooperation der einzelnen Akteure und schließlich das Bewusstsein und die Akzeptanz in der Bevölkerung.“ Die „Change Agents“ in den Regionen seien unterschiedlich und hingen von der Entwicklungsstufe ab, so Białas. „Die regionale technologische Readiness ist wichtig, aber noch wichtiger sind gesellschaftliche und kulturelle Faktoren.“
Insgesamt haben die drei Regionen zwar einige Gemeinsamkeiten, sind aber unterschiedlich aufgestellt. „In Amsterdam und den Niederlanden sind schon viele Voraussetzungen für eine echte Kreislaufwirtschaft auf gesetzlicher Ebene geschaffen worden“, stellt Jana Wegener fest. „Es gibt Strategien und Aktionspläne, die dem Rheinischen Revier einiges voraushaben. Auch wenn im Rheinischen Revier schon viel passiert, gibt es noch viele Möglichkeiten, die ergriffen werden sollten.“ Für Polen sieht Patryk Białas Themen wie Ökologie und Kreislaufwirtschaft weiter entfernt im Bewusstsein als in Deutschland oder den Niederlanden. „Der Strukturwandel steht hier relativ am Anfang. Wir haben bemerkt: Die Menschen in Oberschlesien brauchen Aufklärung über neue Technologien und Recycling.“ Nötig seien Plattformen, um neue Ideen zu diskutieren. „Wir haben Podiumsdiskussionen vorbereitet und Debatten angestoßen, damit die Menschen die neuen Technologien kennenlernen und wir umgekehrt besser verstehen, wie sie denken.“
Aufklärung hilft gegen Skepsis
Was den Stoffstrom der Polyurethan-Hartschäume betreffe, sei die Vertrautheit in Deutschland auch noch nicht ausreichend vorhanden, sagt Jana Wegener. Ebenso beim chemischen Recycling: „Da gibt es in den Medien eine Skepsis, vor allem bei den Umweltverbänden.“ Es gehe um den Energieeinsatz, der benötigt wird, um eventuell kritische Nebenstoffe und um die Voranstellung der Abfallvermeidung. Ihrer Wahrnehmung nach sagen alle Menschen, die mit dem Thema zu tun haben, dass es keine Konkurrenz zum mechanischen Recycling geben sollte. „Es gibt noch nicht genug Wissen darüber, aber auch noch nicht genug Transparenz bei den Produkten.“
Aus den Analysen von Jana Wegener und Patryk Białas ist deutlich geworden, dass eine Allianz der Stakeholder gebraucht wird, um erfolgreich zu sein. Deswegen ist der Projekt-Scope sehr breit angelegt. Covestro-Forscherin Catherine Lövenich ist optimistisch gestimmt: „Alle Partner sind sehr aktiv und liefern gute Ergebnisse. Wir wollen beweisen, dass man den kompletten Recyclingweg für Polyurethane gehen kann.“ Es gehe darum, zu zeigen, dass zurzeit als nicht recyclingfähig geltende Materialien chemisch recycelt werden können. „Wir merken immer noch, dass nur wenige Leute, auch in der Industrie, überhaupt verstehen, wie chemisches Recycling funktioniert und wofür es alles verwendet werden kann.“ Vielen Menschen ist nicht bewusst: Chemisches Recycling ist bei zahlreichen Produkten notwendig, die nicht für mechanisches Recycling geeignet sind.
Aus diesem Grund werden alle Partner auch nach dem Projektende überlegen, wie es weitergeht. „Wir brauchen die weitere Zusammenarbeit mit allen Partnern entlang der Kette“, betont Lövenich mit Nachdruck. „Denn die zirkuläre Wirtschaft ist dann nicht am Ende – es ist nur der erste Schritt.“
Steckbrief zum Projekt „Circular Foam“
Das Projekt „CIRCULAR FOAM – systemische Ausweitung territorialer CIRCULAR-Ökosysteme für Altschaumstoffe“ entwickelt alle technologischen Schritte, die erforderlich sind, um die Kreislauffähigkeit von Kunststoffen in Post-Consumer-Anwendungen zu erreichen, und zwar am Beispiel von PU-Hartschaumstoffen, die als Isolierung in Kühlschränken und im Bauwesen verwendet werden.
Das Konsortium setzt sich aus allen Akteuren zusammen, die für die Schließung der Kreislauf-Wertschöpfungskette erforderlich sind: Endprodukthersteller, chemische Industrie, Abfallwirtschaft, Technologieanbieter, einschließlich Forschungspartner und Partner, die mit dem öffentlichen Sektor und den Bürgern zusammenarbeiten.
Zu den Partnern gehören: Covestro AG (Projektkoordinator), PTS Alba, Interzero, REDWAVE, eine Abteilung der BT-Wolfgang Binder GmbH, Unilin Insulation, Kingspan Research and Developments Limited, Electrolux Italia SPA, Circularise BV, BioBTX BV, Rijksuniversiteit Groningen, RWTH Aachen, TU Dortmund, Stichting Hogeschool van Amsterdam, Stichting Nederlandse Wetenschappelijk Onderzoek Insituten, Uniwersytet Ekonomiczny we Wroclawiu, ETH Zürich, Fraunhofer-Gesellschaft zur Förderung der Angewandten Forschung, Ruhr-Universität Bochum, Forschungszentrum Jülich GmbH, Gornoslasko-Zaglebiowska Metropolia, Park Naukowo Technologiczny Euro-Centrum sp. z o.o, IZNAB sp. z o.o und DECHEMA Gesellschaft für Chemische Technik und Biotechnologie e. V.
Dieses Projekt wurde durch das Forschungs- und Innovationsprogramm Horizont 2020 der Europäischen Union unter der Fördervereinbarungsnummer 101036854 gefördert.
Interview mit Katja Wendler
Katja Wendler leitet den Fachbereich Rohstoffe bei der DECHEMA. Die Umweltschutzingenieurin verfügt über langjährige Erfahrung in der Koordination anwendungsnaher Forschungsprojekte. Zu ihren inhaltlichen Schwerpunkten gehören verschiedene Ansätze der Circular Economy – insbesondere die Kreislaufführung von Kunststoffen.
VAA Magazin: Was ist die Rolle der DECHEMA im Projekt Circular Foam?
Wendler: Wir als DECHEMA kümmern uns im Projekt Circular Foam um die Öffentlichkeitsarbeit. Unsere Kommunikation richtet sich an alle Akteure in der Wertschöpfungskette sowie Forschende, politische Entscheidungsträger und die Öffentlichkeit. Wir wollen durch unsere Arbeit die Aufmerksamkeit wichtiger Akteure auf die Entwicklungen im Projekt lenken und den Austausch anstoßen. Darüber hinaus sind wir mit Partnerprojekten vernetzt, um Synergien effizient nutzen zu können. Mit unseren Aktivitäten unterstützen wir die Implementierung des erarbeiteten systemischen und regionalen Lösungsansatzes für die Kreislaufführung von Polyurethan-Hartschäumen.
Inwiefern beschäftigt sich die DECHEMA mit dem Thema Kunststoffrecycling?
Das Thema Kunststoffrecycling ist für uns als DECHEMA strategisch sehr wichtig. Wir befassen uns im Rahmen verschiedener nationaler und europäischer Forschungs- und Begleitprojekte mit den vielfältigen Facetten des Kunststoffrecyclings. Die Anwendungen der Kunststoffe sind dabei vielfältig, von Reifen über Kunststoffe im Bau- und Verpackungsbereich bis hin zu den in Circular Foam betrachteten PU-Hartschäumen, die zum Beispiel in Kühlschränken und Dämmmaterialien in Gebäuden verbaut werden. Gemeinsam mit dem VCI und Plastics Europe Deutschland haben wir zusammen mit Expertinnen und Experten forschungspolitische Empfehlungen zu diesem Thema entwickelt und diese 2021 in einem Diskussionspapier veröffentlicht. Wichtig ist uns dabei, mechanische und chemische Recyclingverfahren komplementär einzusetzen, um Kunststoffe möglichst hochwertig und stofflich im Kreis zu führen. Durch den Wiedereinsatz der Kunststoffrezyklate und -bausteine soll der Einsatz fossiler Rohstoffe reduziert werden, was zum Erreichen der Klimaschutzziele beiträgt.
Gerade wenn neue Wertschöpfungsketten aufgesetzt und etabliert werden sollen, ist es wichtig, die Akteure der Wertschöpfungskette in den Austausch miteinander zu bringen. Zudem sollten technologische Entwicklungen auch durch eine ökologische und ökonomische Bewertung begleitet werden, um wirklich nachhaltige und tragfähige Konzepte und Lösungen zu erarbeiten. Auch in den Gremien der DECHEMA, in denen sich Expertinnen und Experten aus Industrie und Wissenschaft austauschen, spielt Kunststoffrecycling als ein Baustein der Circular Economy eine wichtige Rolle und wurde in verschiedenen Veranstaltungen wie den Tutzing-Symposien 2021 und 2022 diskutiert.
Vom 10. bis zum 14. Juni 2024 findet in Frankfurt am Main wieder die ACHEMA statt. Welche Rolle wird das Thema Kunststoffrecycling dort spielen?
Die ACHEMA ist die Weltleitmesse der Prozessindustrie. Unternehmen, die im Bereich des Kunststoffrecyclings tätig sind, können als Aussteller oder Teilnehmer der Messe und des Kongressprogramms ihre neuesten Technologien und Lösungen präsentieren. Das Interesse am Thema Kunststoffrecycling war schon bei der ACHEMA 2022 riesig. Auch 2024 wird es spannende Vorträge und Diskussionen rund um das Thema Kunststoffrecycling geben. Das Projekt Circular Foam wird mit einer eigenen Bühnensession mit Paneldiskussion und interessanten Vorträgen auf der ACHEMA dabei sein.
Zahlen und Fakten
483 Kilogramm
Haushaltsabfälle pro Kopf sind nach vorläufigen Angaben des Statistischen Bundesamtes im Jahr 2021 in privaten Haushalten Deutschlands angesammelt worden. Ganze sechs Kilogramm mehr Müll als im ersten Coronajahr 2020, als das Pro-Kopf-Aufkommen um 19 Kilogramm gegenüber dem Jahr 2019 gestiegen war. 2021 produzierten deutsche Haushalte ingesamt 40,2 Millionen Tonnen Abfälle und damit rund 1,5 Prozent mehr als im Vorjahr.
Bis 2030
planen Kunststoffhersteller Investitionen von mehr als 7,2 Milliarden Euro für den Ausbau von chemischen Recyclinganlagen in Europa. Man versuche, den Kunststoffkreislauf möglichst effektiv zu schließen und anfallende Emissionen während des Transports und der Lagerung von Kunststoffabfällen und Sekundärrohstoffen zu reduzieren, erklärt der Verband der Kunststofferzeuger Plastics Europe in seinem Fact Sheet zum chemischen Recycling. Durch diese Maßnahmen könnten bis 2030 allein in Europa bis zu 3,4 Millionen Tonnen Kunststoff zurückgewonnen und die Abhängigkeit von fossilen Ressourcen deutlich reduziert werden.
Auf etwa 400
Grad Celsius werden organische Materialien unter Sauerstoffausschluss innerhalb der sogenannten Pyrolyse aufgeheizt. Dabei durchlaufen sie verschiedene Schmelz- und Zersetzungsprozesse. Chemisches Recycling kann in verschiedenen Verfahren zum Aufbereiten von Kunststoffabfällen genutzt werden, bei denen die chemische Struktur des Materials verändert wird. Polymerketten können hier unterschiedlich aufgespaltet werden: im thermischen Prozess der Pyrolyse (Verflüssigung), in der Umwandlung in Gas (Gasifizierung) oder durch die Zersetzung der Kunststoffe in ihre einzelnen chemischen Bausteine (Depolymerisation). So werden aus Abfällen Zwischenprodukte wie Pyrolyseöl zurückgewonnen, die nun wieder als Rohstoff für die Herstellung neuer und qualitativ hochwertiger Kunststoffe verwendet werden können.
50 bis 80 Prozent
des Kohlenstoffskönnen mit chemischem Recycling je nach Verfahren und Abfallart aktuell bereits zurückgewonnen werden. Das chemische Recycling ist ein wichtiger Bestandteil auf dem Weg zu einer klimaneutralen Kreislaufwirtschaft, die alle Verfahren zur Verwertung von Abfällen zusammenfasst, in denen Produkte, Materialien oder Rohstoffe entweder für ihren ursprünglichen Zweck oder für andere Zwecke aufbereitet werden. Konzepte zu Mehrwegsystemen und nachhaltigem Produktdesign seien weitere unabdingbare Möglichkeiten zur Reduzierung von Abfällen, erklärt der Verband Plastics Europe.
120 Kilotonnen
komplexer Verbundkunststoffeinflexibler wie mehrschichtiger Form können mit der Inbetriebnahme der größten Anlage für chemisches Recycling in Europa bis 2025 jährlich recycelt werden. Die Unternehmen Dow und Mura Technology planen derzeit den Bau der Anlage am Dow-Standort Böhlen in Sachsen, vermerkt Plastics Europe. Die ankommenden Abfallströme können dort aufgrund spezieller Aufbereitungsverfahren sogar organische Rückstände beinhalten und müssen nicht sauerstoffrein sein.
Am 11. Dezember 2023
werden die EU-Mitgliedstaaten voraussichtlich über die Anerkennung von Massenbilanzverfahren für das chemische Recycling entscheiden. Damit werden Grundvoraussetzungen festgelegt, um die angestrebten Rezyklateinsatzquoten der EU zu erreichen und die dafür benötigten Investitionen zu unterstützen. Denn derzeit werden in großen Recyclinganlagen sowohl fossile als auch chemisch recycelte Sekundärrohstoffe gemeinsam verarbeitet. Rezyklate sind wiederverwertete Kunststoffe, zum Beispiel aus Polyethylen (PE), Polypropylen (PP) oder Polyethylenenterephtalat (PET), die von Privathaushalten oder Gewerbetreibenden mindestens einmal entsorgt und für die Herstellung neuer Produkte genutzt wurden. Es sei ökologisch und ökonomisch nicht sinnvoll, fossile und erneuerbare Rohstoffe in getrennten Anlagen einzusetzen, vermerkt der Verband der Kunststoffhersteller Plastics Europe. Eine sinnvolle, gleichzeitig energiesparende Lösung bestehe darin, chemisch recycelte Sekundärrohstoffe in den bereits existierenden Anlagen direkt in den Produktionsprozess einzuspeisen und den Rezyklatanteil von chemisch recycelten Kunststoffen mithilfe von Massenbilanzen zu bestimmen. Massenbilanzen sind ein buchhalterischer Ansatz, der es ermöglicht, die in einen Produktionsprozess eingespeisten Sekundärrohstoffe spezifischen Produktgruppen zuzuordnen. Dieser Ansatz ist mit Ökostromlieferungen vergleichbar.