Heimliche Helfer des Lebens
Kleine Boten, große Wirkung









Von Timur Slapke und Simone Leuschner
Wie eine „unsichtbare Hand“ steuern Hormone die Prozesse im menschlichen Körper – oft unbemerkt und doch entscheidend. Sie regulieren den Stoffwechsel, das Wachstum und die Fortpflanzung – und beeinflussen sogar die Stimmung. In winzigen Mengen wirken diese körpereigenen chemischen Botenstoffe, indem sie gezielt an Rezeptoren binden und präzise Reaktionen auslösen. Doch was passiert, wenn dieses fein austarierte Gleichgewicht gestört wird? Mit medizinischen Ansätzen lassen sich hormonelle Defizite ausgleichen – und die Weichen für ein besseres Leben stellen.
„Aufgrund der organisierenden und aktivierenden Funktionen spielen Hormone das ganze Leben über eine entscheidende Rolle für die mentale, psychische und körperliche Gesundheit“, erläutert Prof. Jens Prüßner von der Universität Konstanz. Die Effekte sind je nach Hormon sehr unterschiedlich. Im Körper können sie kurzfristige, reversible sowie langfristige, irreversible Prozesse steuern. Der Leiter der Arbeitsgruppe Neuropsychologie nennt ein Beispiel: „Nach der Menopause fehlt bei biologischen Frauen das Hormon Östradiol, wodurch die Calciumaufnahme der Knochen eingeschränkt wird – es kommt dann in den Folgejahren häufig zu Osteoporose. Das Äquivalent bei biologischen Männern – Testosteron – wird lebenslang produziert und durch ein spezielles Enzym – Aromatase – in Östradiol umgewandelt, sodass Männer im Alter weiterhin Östradiol zur Verfügung haben und viel weniger häufig an Osteoporose erkranken.“
In seiner Forschung beschäftigt sich Prüßner unter anderem mit den Effekten von Stress und anderen Umwelteinflüssen auf die endokrine und autonome Regulation. „Vieles von dem, was Stress mit unserem Körper macht, geschieht über Hormone, daher habe ich hier im Laufe der Jahre viel Expertise akkumuliert.“ Bevor der promovierte Psychoendokrinologe 2017 nach Konstanz gekommen ist, war er unter anderem 15 Jahre Professor an der McGill University in Montreal. Er hebt die Bedeutung des Gehirns für die Aktivität der verschiedenen Hormondrüsen hervor: „Der Hypothalamus im Zentralnervensystem (ZNS) gilt als das endokrine Kontrollzentrum des Gehirns. Der Hypothalamus wiederum reguliert Hormone entweder autonom oder wird von anderen Zentren des ZNS kontrolliert – Stichworte Präfrontalcortex, limbisches System.“
Dabei wirken die Hormone teilweise auch selbst im Gehirn und können nach Freisetzung bestimmte Hirnstrukturen aktivieren oder deaktivieren: „Hier kommt es zu positiven – Beispiel Eisprung – und negativen – Beispiel Stresshormonregulation – Feedbackschleifen, welche die ZNS-Aktivität, die weitere Hormonfreisetzung und unser Verhalten beeinflussen können.“ Des Weiteren beeinflussen Hormone das Empfinden. „Hierfür gibt es viele Beispiele: Dopamin, Adrenalin, Oxytocin“, zählt Jens Prüßner auf. „Am eindrucksvollsten ist hier vielleicht das Beispiel von Oxytocin, das bei der Geburt in großen Mengen ausgeschüttet wird und die Mutter-Kind-Bindung verstärkt.“
Doch was passiert im Körper, wenn der Hormonfluss nicht gewährleistet ist und eine Dysregulation entsteht? „Wenn die Hormone nicht zu ihren Zielorten gelangen, hat das Konsequenzen für die weitere Funktion dieser Organe, und damit auch für den Organismus“, antwortet Prüßner und nennt das Beispiel der Schilddrüsenhormone. „Diese steuern den Metabolismus und wenn sie nicht mehr in ausreichender Menge zur Verfügung stehen, kann es zu den Symptomen der Schilddrüsenunterfunktion kommen – Leistungsschwäche, Konzentrationsschwäche, dauerhafte Müdigkeit, erhöhte Kälteempfindlichkeit, Haarausfall, depressive Verstimmungen, Gewichtszunahme.“
Stress mit den Drüsen
Ist der Hormonhaushalt erst einmal aus den Fugen geraten, ist medizinische Hilfe geboten. Der Fachterminus für die Lehre von der inneren Sekretion – anders als exokrine Drüsen wie Speichel- oder Talgdrüsen geben Hormondrüsen ihre Stoffe in den Körper ab – lautet Endokrinologie. Oft stehen Endokrinologinnen und Endokrinologen vor der Herausforderung, mit Vorurteilen über ihr Fachgebiet aufzuräumen. „Die meisten Menschen denken beim Thema zuerst an die Schilddrüse oder vielleicht noch an Osteoporose,“ erklärt Priv.-Doz. Dr. Birgit Harbeck von der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (DGE). Doch während Schilddrüsenerkrankungen häufig in der hausärztlichen Praxis behandelt werden können, erfordern seltene, potenziell lebensgefährliche Erkrankungen wie Hypophysen- und Nebennierenleiden spezialisierte Betreuung. In der Hypophyse werden verschiedene Hormone gebildet. „Praktisch alles, was für uns wichtig ist“, unterstreicht Harbeck. „Das ist eine ganz zentrale Drüse für uns.“
Zu den Hormonen, die durch den Anstoß aus der Hypophyse in den Körper ausgeschüttet werden, gehört auch Cortisol. Für Birgit Harbeck ist dieses klassische „Stresshormon“ besonders spannend. Hauptamtlich forscht die DGE-Mediensprecherin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE). Außerdem praktiziert die Fachärztin für Innere Medizin, Endokrinologie und Diabetologie am Endokrinologikum Kiel und bei Amedes experts in Hamburg. „Cortisol ist an einer Vielzahl von Stoffwechselvorgängen beteiligt. Es hilft dabei, den Blutzucker auf einem notwendigen Niveau zu halten, und wirkt gleichzeitig entzündungshemmend.“ Doch wird zu viel oder zu wenig davon produziert, droht Ungemach.
Nicht selten hat ein Mangel an Cortisol, auch als Nebenniereninsuffizienz bekannt, schwerwiegende Folgen. Die primäre Ursache – zumindest in den Industriestaaten – ist eine Autoimmunerkrankung, der sogenannte Morbus Addison. „Dabei wird Nebennierenrinde zerstört“, so Harbeck. „John F. Kennedy war einer der bekanntesten Patienten mit Morbus Addison.“ Auch Tumoren der Hypophyse können Harbeck zufolge eine Rolle spielen, indem sie die Produktion des Stimulationshormons Adrenocorticotropin (ACTH) verhindern. Denn ACTH regt die Cortisolausschüttung in der Nebenniere erst an. „Drückt ein Tumor auf die Zellen, die ACTH eigentlich freisetzen sollen, dann versiegt es oder wird gar nicht freigesetzt.“ Die Folge sei die gleiche, als hätte jemand eine richtige Nebennierenerkrankung.
Meistens seien die Patientinnen und Patienten lebenslang auf eine sogenannte Cortisolsubstitution angewiesen. Harbeck warnt: „Wenn das Stresshormon weg ist, ist das mit dem Leben nicht vereinbar.“ Wenn man diese Erkrankung nicht bemerke, werde es gefährlich. „Das wird im Krankenhaus nicht selten übersehen. Das sind Patienten, die immer müde sind, die apathisch werden und bis ins Koma fallen können. Und sie haben niedrigen Blutzucker, weil Cortisol den Blutzucker erhöht.“ Behandelt man diese Menschen nicht, führt das langfristig zum Tod. „Es ist sehr wichtig, dass man diese Patienten erkennt und sie eine Langzeittherapie in einer endokrinologischen Praxis erhalten.“
Eine dritte und häufige Ursache für Nebenniereninsuffizienzen ist die langfristige Einnahme von Steroiden, etwa bei Asthma oder Rheuma. „Bereits niedrige Dosen über einen längeren Zeitraum können dazu führen, dass die körpereigene Produktion eingestellt wird,“ betont Endokrinologin Birgit Harbeck. „Dann sagt die Schaltzentrale im Hypothalamus: Wenn jetzt von außen Cortison kommt, warum soll ich denn überhaupt noch etwas bilden? Also produziert der Hypothalamus sein Stimulationshormon CRH für die Hypophyse nicht mehr. Wenn kein CRH vom Hypothalamus kommt, produziert die Hypophyse kein ACTH mehr. Und wenn kein ACTH mehr gebildet wird, produziert die Nebenniere auch kein Cortisol mehr.“ Die gute Nachricht: Nach einem langsamen Absetzen der Steroidmedikamente oder bei einer vorübergehenden Behandlung mit Ersatzcortison könne sich die Nebennierenfunktion wieder erholen.
Wenn zu viel zu viel ist
Umgekehrt gibt es auch ein Übermaß an Cortisol, das als Cushing-Syndrom bezeichnet wird. Es kann durch die Einnahme hoher Cortisondosen oder durch Tumoren in der Hypophyse oder Nebenniere verursacht werden. „Betroffene schwemmen auf und zeigen typische Symptome wie ein Vollmondgesicht, Stammfettsucht und Muskelschwäche“, berichtet Birgit Harbeck. Neben den körperlichen Veränderungen birgt das Syndrom ernsthafte Gesundheitsrisiken wie Diabetes oder ein erhöhtes Thromboserisiko.
Bei Cortisonsprays passiere das in der Regel nicht, weil diese nicht systemisch wirken. „Aber bei Tabletten schon, wenn man nicht aufpasst“, sagt die Endokrinologin. Das Problem: „Wer erst einmal ein Cushing-Syndrom hat, der hat zu dem Zeitpunkt meist auch diese tertiäre Nebenniereninsuffizienz, weil so viel Cortison genommen wurde, dass die eigenen Nebennieren nicht mehr arbeiten.“ Und die müsse man sehr langsam entwöhnen. Das kann ein Prozess sein, der über Jahre geht.
Die Diagnose eines Cushing-Syndroms ist auch deshalb wichtig, weil Betroffene sehr gefährdet für Krankheiten sind, an denen gesunde Menschen mit einem normalen Immunsystem gar nicht erst erkranken würden. Birgit Harbeck klärt auf: „Wenn Patienten zu viel Cortisol im Körper haben, haben sie eine schlechte Infektabwehr. Cortison wirkt ja auch immunsuppressiv.“ In der Endokrinologie lasse sich das aber gut diagnostizieren, beispielsweise durch Blut-, Speichel- oder Urintests sowie durch Suppressionstests, die zeigen, ob sich der Cortisolspiegel normalisieren lässt. „Es ist entscheidend, die Ursache genau zu klären, um gezielt behandeln zu können,“ so Harbeck.
Vom Cortisol zum Zuckerspiegel
Das Stresshormon ist auch für die Arbeitsgruppe Neuropsychologie in Konstanz von Interesse. Hier untersucht das Team von Prof. Jens Prüßner in einem aktuellen Projekt das Zusammenspiel von Cortisol und Insulin, dem Hormon, das die Glukoseaufnahme der Zellen reguliert, in Abhängigkeit vom Glukosespiegel. Der Hintergrund ist: Cortisol stellt dem Körper zusätzlich Energie zur Verfügung, wenn der Organismus akut gestresst wird. „Jetzt ist es aber so, dass wir mehr Cortisol produzieren, wenn die Glukosespiegel hoch sind, wir also Energie zu uns genommen haben – zunächst kontraintuitiv, da wir ja eigentlich weniger Energie bereitstellen müssen, wenn sie bereits durch externe Zufuhr zur Verfügung steht“, führt Prüßner aus. „Hier wollen wir durch die Messung von Insulin versuchen, die Mechanismen besser zu verstehen.“
In der Öffentlichkeit weit weniger bekannt als das Stresshormon oder die Schilddrüse sind sogenannte Prolaktinome, die durchaus regelmäßig vorkommen. „Das sind Adenome in der Hypophyse, in denen Prolaktin gebildet wird“, erläutert DGE-Expertin Birgit Harbeck. „Prolaktin ist ein Hormon, das normalerweise in der Schwangerschaft dafür sorgt, dass Frauen stillen können und die Laktation anregt.“ Bei Frauen können diese gutartigen Tumoren oft zu ungewollter Milchbildung und Zyklusstörungen, bei Männern zu Libidoverlust führen. „Im Gegensatz zu anderen Hypophysentumoren können Prolaktinome medikamentös behandelt werden.“ Auch sorgen die Symptome häufig dafür, dass die Betroffenen schnell zum Arzt gehen.
Hormone für die Fruchtbarkeit
Im Gegensatz dazu gibt es bei einem anderen medizinischen Thema, das weltweit zu einer wachsenden Herausforderung wird, praktisch keine erkennbaren Symptome: Unfruchtbarkeit. Nach aktuellen Daten der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist eines von sechs Paaren davon betroffen. „Das Schweigen über dieses sensible Thema verstärkt die Belastung, die ohnehin durch emotionale, körperliche und finanzielle Herausforderungen besteht“, stellt der Geschäftsführer der Merck Healthcare Germany GmbH Matthias Wernicke fest. „Besonders problematisch ist, dass viele erst dann aktiv werden, wenn es möglicherweise bereits zu spät ist. Je weiter die Zeit voranschreitet, desto häufiger benötigen Paare mit Kinderwunsch medizinische Unterstützung.“ Hier brauche es noch viel Aufklärung, damit Frauen und Paare besser informiert sind und selbstbestimmte Entscheidungen treffen können. Das bestätigen die Ergebnisse der dritten Jugendstudie von Merck „Merck Future Compass“, die große Wissenslücken gerade bei den jüngeren Generationen in Bezug auf Fruchtbarkeit und reproduktionsmedizinische Technologien offenbaren.
„Hormontherapien haben in den letzten Jahren bedeutende Fortschritte gemacht“, so der Leiter des deutschen Pharmageschäfts von Merck. „Diese Innovationen haben nicht nur die Erfolgschancen bei Fruchtbarkeitsbehandlungen erhöht, sondern auch das Verständnis und die Behandlung hormoneller Ungleichgewichte revolutioniert.“ Allein mithilfe der Fruchtbarkeitstherapien seien bis dato weltweit über sechs Millionen Babys zur Welt gekommen. „Unsere Applikationssysteme machen die Anwendung für die Patienten sicher und bequem. Ein Beispiel hierfür ist unser vorgefüllter Fertig-Pen, der eine einfache Anwendung zuhause ermöglicht.“
In der reproduktiven Medizin kommen Hormone zum Einsatz, um hormonelle Ungleichgewichte auszugleichen. Dazu Matthias Wernicke: „Bei Verfahren wie der In-vitro-Fertilisation (IVF) spielen Hormone eine wichtige Rolle, indem sie den Menstruationszyklus steuern, die Reifung der Eizellen fördern, den Eisprung stimulieren und die Einnistung von Embryos unterstützen.“ Merck ist nach eigenen Angaben Weltmarktführer bei der Fruchtbarkeitsbehandlung und das einzige Unternehmen, das sogenannte rekombinante – also vollständig synthetisierte – Versionen der drei essenziellen Hormone anbietet: das Luteinisierende Hormon (LH), das humane Choriongonadotropin (hCG) und das Follikelstimulierende Hormon (FSH).
Die „Chemie“ hinter den Hormontherapien sei das Ergebnis jahrzehntelanger Forschung und Entwicklung, so Wernicke. „Wir nutzen biochemische Prozesse, um gezielt Hormone zu synthetisieren. Das heißt, wir kreieren hochwirksame Hormonproteine mithilfe von gentechnisch veränderten Zellen. Diese komplexen biochemischen Prozesse ermöglichen es uns, hochreine Hormone in großer Menge und gleichbleibender Qualität herzustellen.“ Zudem wolle man Fertilisationsbehandlungen ständig verbessern und arbeitet dafür mit nationalen und internationalen Experten zusammen. „Gemeinsam mit unseren Partnern haben wir die Global Fertility Alliance (GFA) for Excellence in Assisted Reproductive Treatment gegründet, ein Zusammenschluss, um in Fertilitätslaboren höchste Qualitätsstandards bei Reproduktionstechnologien und -prozessen voranzutreiben.“
Zusammen mit Genea Fertility, einem Unternehmen, das weltweit spezialisierte Fertilitätszentren betreibt, hat Merck das erste Exzellenzzentrum für Fruchtbarkeit eröffnet. Laut Matthias Wernicke ist dies eine hochmoderne Trainingseinrichtung, die medizinisches Fachpersonal mit fortlaufenden Weiterbildungsmöglichkeiten unterstützt. Doch technologischer Fortschritt stoße an seine Grenzen, wenn das Bewusstsein über Fruchtbarkeitsstörungen und deren Behandlung in der Gesellschaft nicht ausreichend ist.
Hier geht Merck am eigenen Beispiel voran und hat das Programm „Fertility Benefits“ ins Leben gerufen, mit dem die Beschäftigten sowie deren Partnerinnen und Partner bei Kinderwunschbehandlungen finanziell unterstützt werden. „Abgedeckt ist hier eine große Bandbreite von Leistungen, unerheblich ob Produkte unseres Unternehmens zum Einsatz kommen“, sagt Merck-Manager Wernicke. „Wir sind stolz darauf, dass wir bereits mehrere hundert Mitarbeitende weltweit im Rahmen dieses Programmes unterstützen konnten.“ Die von Pharmaunternehmen wie Merck entwickelten Therapien zeigen: Menschen mit hormonellen Ungleichgewichten oder Defiziten kann medizinisch geholfen werden, indem Hormone als Medikament gegeben werden.
Komplexe Taktgeber fürs Wohlbefinden
Im menschlichen Körper sind Hormone die Taktgeber – und manchmal die Achillesferse. Denn die verschiedenen Hormondrüsen beeinflussen sich gegenseitig und sorgen gemeinsam für die fein abgestimmte Funktionsfähigkeit des Körpers. Störungen in diesem komplexen System können schwerwiegende Folgen haben, lassen sich aber oft gezielt behandeln, wenn sie rechtzeitig erkannt werden. Die Endokrinologie ist dabei der Schlüssel, um nicht nur seltene Krankheitsbilder, sondern auch alltägliche Hormonstörungen besser zu verstehen und zu therapieren. Ihr Potenzial reicht weit über die klinische Praxis hinaus und zeigt, wie wertvoll ein gesundes Gleichgewicht für das Leben ist. Schwieriger bleibt es bei seltenen Erkrankungen: „Es ergibt wenig Sinn, ohne Beschwerden den gesamten Hormonstatus zu überprüfen,“ sagt das DGE-Vorstandsmitglied Birgit Harbeck. Aber auch in diesen Fällen führen meistens konkrete Symptome oder der Hausarzt die Patientinnen und Patienten zu einer endokrinologischen Abklärung.
Auf diese Weise liefern Medizin und Wissenschaft Antworten sowohl auf offensichtliche Beschwerden als auch auf versteckte Probleme, die im Verborgenen wachsen. Dabei kommt es auch auf das bessere Verständnis des Themas in der Öffentlichkeit an – so kann die Feinabstimmung eines Systems, das Menschen jeden Tag aufs Neue lebendig macht, schneller und besser gelingen. Matthias Wernicke von Merck spricht das Wesentliche aus: „Hormone sind also im wahrsten Sinne des Wortes natürlich – und Teil unseres täglichen Lebens.“
Hormone haben Einfluss auf Körper und Geist: Interview mit Ann-Kathrin Pause

Ann-Kathrin Pause ist seit über 20 Jahren als Apothekerin tätig. Dabei sind ihr die Frauengesundheit und die Well-Aging-Forschung schon immer schon immer wichtig gewesen. Mittlerweile berät Pause außerdem als ganzheitliche Hormonberaterin Frauen in allen Phasen ihres Lebens, insbesondere zu hormonellen Schwankungen in der Prämenopause, Perimenopause und Postmenopause.
VAA Magazin: Hormone verteilen sich auf dem Blutweg im Körper und steuern als Botenstoffe wichtige Lebensfunktionen wie zum Beispiel Atmung, Kreislauf oder Stoffwechsel. Wo werden sie gebildet und wie verändern sich die Hormone im Laufe unseres Lebens?
Pause: Hormone werden in verschiedenen Drüsen und Organen unseres Körpers wie zum Beispiel dem Hypothalamus, der Hypophyse, der Schilddrüse et cetera gebildet und spielen als Botenstoffe eine entscheidende Rolle bei der Regulierung vieler lebenswichtiger Funktionen. Die Geschlechtshormone beispielsweise steigen in der Pubertät stark an und unsere Körper verändern sich unter ihrem Einfluss. Im Erwachsenenalter erreichen dann Hormone wie Östrogen und Testosteron ihren Höhepunkt, um dann in den Wechseljahren und der sogenannten männlichen Andropause wieder abzusinken.
Was passiert im Körper, wenn sich die Hormone verändern oder gar gestört werden? Welche Rolle spielen Alter, verändernde Lebensumstände im hormonellen System?
Wenn sich die Hormone im Körper verändern oder gestört werden, kann dies verschiedene physiologische und psychologische Auswirkungen haben. Beispielsweise kann ein Ungleichgewicht bezüglich des Hormons Insulin zu einer gestörten Blutzuckerregulation und Insulinresistenz bis hin zu Diabetes Typ 2 führen. Auch eine gestörte Schilddrüse kann sich in einem veränderten Stoffwechsel niederschlagen. Ein weiters Beispiel sind die Sexualhormone: Hormonelle Störungen können hier Menstruationsunregelmäßigkeiten, Schwierigkeiten bei der Empfängnis oder Menopausesymptome wie Hitzewallungen und Stimmungsschwankungen verursachen. Das Alter, die Lebensweise, die tägliche Bewegung und Faktoren wie Stress spielen in all den hormonellen Regelkreisen eine große Rolle.
Welche Möglichkeit gibt es, Hormone aus medizinischer Sicht zu behandeln?
Hormonelle Ungleichgewichte können je nach Ursache und Symptomen behandelt werden. Beispiele dafür sind unter anderem die Gabe von Schilddrüsenhormonen bei einer Schilddrüsenunterfunktion, Hormonersatztherapie zur Behandlung von Wechseljahressymptomen, Insulintherapie bei Diabetes et cetera. In jedem Fall sind eine regelmäßige ärztliche Überwachung und Kontrolle notwendig.
Zum Thema Frauen in den Wechseljahren: Was sind bioidentische Hormone und wie wirken sie?
Bioidentische Hormone sind Hormone, die chemisch identisch zu den Hormonen sind, die der menschliche Körper natürlich produziert. Diese Hormone werden in der Regel als Teil einer Hormonersatztherapie (HRT) verwendet, um Symptome der Wechseljahre zu behandeln und hormonelle Ungleichgewichte und einen Hormonmangel auszugleichen. Zu den häufig verwendeten bioidentischen Hormonen gehören Estradiol, Progesteron und Testosteron.
Können Hormone das Empfinden und Verhalten beeinflussen?
Ja, Hormone haben einen ganz erheblichen Einfluss auf unsere Gefühlswelt und unser Verhalten. Sie wirken, wie bereits erwähnt, als chemische Botenstoffe im Körper und sind an vielen physiologischen Prozessen beteiligt, die eng mit unserem emotionalen Wohlbefinden verbunden sind. Ein Beispiel sind Hormone wie Serotonin oder Dopamin, die eine zentrale Rolle bei der Regulation unserer Stimmung führen. Ein Ungleichgewicht dieser Hormone kann zu Stimmungsschwankungen, Angstzuständen und sogar Depressionen führen. Ein anderes sehr bekanntes Beispiel ist das Hormon Cortisol, das auch als „Stresshormon“ bezeichnet wird. Dieses wird in „stressigen“ Situationen ausgeschüttet, beeinflusst dann auch unser Veralten und unsere Emotionen und kann bei einem chronisch erhöhten Cortisolspiegel zu Reizbarkeit, Angst oder auch Schlafstörungen führen.
Zahlen und Fakten

Rund 50 Millionen
Menschen in der Europäischen Union sind Schätzungen zufolge von Depressionen, Erschöpfung und Suchterkrankungen betroffen, so beschreibt es das Bundesministerium für Gesundheit. Der Stress, dem viele Menschen täglich ausgesetzt seien, führe zu einer starken psychischen Belastung. Was macht dieser Stress aber mit dem Körper? Die sogenannten Nebennieren bilden mit nur vier mal drei mal zwei Zentimetern den obersten Rand der Nieren. Sie gelten als Haupthormondrüsen im Körper und produzieren in der Nebennierenrinde das lebenswichtige Hormon Cortisol, im Nierenmark Adrenalin. Adrenalin wird bei akuter und kurzfristiger Belastung verstärkt ins Blut ausgeschüttet. Es lässt das Herz schneller schlagen, erhöht den Blutdruck und erweitert die Atemwege. Außerdem stellt Adrenalin Energiequellen für verschiedene Körperzellen zur Verfügung, indem es vermehrt gespeicherten Zucker und Fett freisetzt. Dadurch wird kurzzeitig die Leistungs- und Konzentrationsfähigkeit gesteigert, um die bedrohliche Situation zu meistern. Cortisol hat eher langfristige Effekte: Es wird vor allem bei psychischem Stress freigesetzt und stellt für einen längeren Zeitraum Energie zur Verfügung, durch Veränderung des Stoffwechsels, aber auch Erzeugung von Hungergefühlen. Damit können länger andauernde Belastungen gemeistert werden, es kann aber auch langfristig zu Übergewicht und Fehlernährung kommen. Daneben werden in den Nebennieren auch noch andere Hormone mit wichtigen Aufgaben für den Wasser- und Salzhaushalt gebildet, Aldostoron ist eines davon. Diese Hormone können beispielsweise den Blutdruck beeinflussen, indem sie die Ausscheidung von Wasser und Salzen steuern.
Etwa 100
verschiedene Hormone sind der Wissenschaft bis heute bekannt – einer Vermutung nach existieren jedoch mindestens 1.000 dieser Botenstoffe unbemerkt, aber als wirkungsvolle Helfer im Körper. 1901 konnte der japanisch-amerikanische Chemiker Jokichi Takamine das erste Hormon isoliert in seiner Struktur bestimmen: Aus der Nebenniere gewann er das Hormon Adrenalin, auch unter dem Namen Epinephrin bekannt. Das Hormonsystem ist hauptsächlich für die Herstellung und Ausschüttung von Hormonen zuständig, veranschaulicht ein Onlineartikel der Informations- und Bildungssendung „Planet Wissen“. Diese regeln die langfristige Kommunikation zwischen Zellen und Organen. Dadurch steuern sie metabolische Vorgänge im Körper, haben aber auch Einfluss auf das Verhalten und die Gefühle.
20 bis 60
Grammleicht, befindet sich die Schilddrüse im vorderen Teil des menschlichen Halses, unter dem Kehlkopf.Ihr Gewebe besteht aus zahlreichen Läppchen, die jeweils einzeln von einer feinen Bindegewebsschicht umhüllt sind. In diesen Läppchen befinden sich Bläschen, sogenannte Follikel, in denen die Schilddrüsenhormone als kleine Tropfen gespeichert sind. Die Schilddrüse gilt als lebenswichtige Hormondrüse: In ihr werden die Hormone Calcitonin, Trijodthyronin (T3) und Tetrajodthyronin (T4) gebildet. Sie spielt eine große Rolle für den Stoffwechsel, das Wachstum und die Reifung des Körpers und übernimmt die Regulierung zahlreicher Körperfunktionen. Benötigt er mehr Energie, zum Beispiel bei Kälte, im Wachstum oder während der Schwangerschaft, bildet sie entsprechend mehr Hormone.
Rund 100
Milliarden Nervenzellen enthält die graue Substanz des menschlichen Gehirns, erklärt das Portal gesundheitsinformation.de des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG). Das Hirn ist das oberste Kontrollorgan über das Hormonsystem, das die Aktivität der verschiedenen Hormondrüsen im menschlichen Körper reguliert. Hier ist es der Hypothalamus im Zentralnervensystem (ZNS), der Hormone entweder autonom reguliert oder durch Signale von anderen Zentren wie dem Präfrontalcortex oder dem limbischen System die Hormonausschüttung koordiniert. Zusammen mit der Hypophyse, einer etwa erbsengroßen Ausstülpung an der Unterseite des Zwischenhirns, spielt er eine wichtige Rolle für die Regulation und Steuerung des endokrinen Hormonsystems.
Insgesamt vier
Nebenschilddrüsen an der Rückseite, jeweils eine an jedem Ende der schmetterlingsähnlichen Form der Schilddrüse, sondern das Hormon Parathormon (PTH) ab, das den Calciumspiegel im Blut und im Gewebe durch seine Wirkungsweise auf Knochen, Nieren und Darm beeinflusst und den Knochenstoffwechsel reguliert. Wie die Stiftung Gesundheitswissen erläutert, bestehen Knochen aus Eiweißfasern und Mineralstoffen, zu denen auch Calcium und Phosphat gehören. Schließlich bestimmt der Mineralstoffgehalt, wie fest die Knochen sind. Calcium und Phosphat können aber aus den Knochen herausgelöst werden, wenn sie an anderer Stelle im Körper gebraucht werden. Hier setzt das Parathormon an: Es unterstützt das Herauslösen von Calcium aus den Knochen und steigert so den Calciumgehalt im Blut. Calcitonin wiederum, das in der Schilddrüse gebildet wird, hemmt das Herauslösen von Calcium aus den Knochen und fördert stattdessen den Einbau von Calcium in die Knochen.
16 bis 20
Zentimetermisst die menschliche Bauchspeicheldrüse. Sie liegt unterhalb des Magens quer im Oberbauch und ist für die Bildung gleich mehrerer Hormone zuständig: Auf körperlicher Ebene ist sie für die Produktion des Verdauungssaftes mit Verdauungsenzymen verantwortlich. Dieser gelangt von dort in den Darm, in dem die Enzyme bei der Verdauung beispielsweise von Fett helfen. Zudem bildet die Bauchspeicheldrüse aber auch Hormone, die den Zuckergehalt im Körper regulieren: Das wohl bekannteste Hormon ist Insulin, das den Blutzucker senkt, indem es die Aufnahme von Zucker in die Körperzellen fördert. Andersherum regt Insulin im Körper an, einen Energiespeicher anzulegen, wenn zum Beispiel eine größere körperliche Belastung bevorsteht. Glucagon wird ebenfalls in der Bauchspeicheldrüse gebildet: Es hebt den Blutzucker an und fördert die Fettverbrennung. Durch ihre entgegengesetzten Wirkungen können Insulin und Glucagon den Blutzucker bestenfalls in einem guten Gleichgewicht halten.
Ab dem zehnten
Lebensjahr beziehungsweise mit Beginn der Pubertät beeinflussen die Geschlechtshormone die Ausbildung der sekundären Geschlechtsmerkmale, das Wachstum und den Körperbau der Heranwachsenden. Beim männlichen Geschlect sorgt Testosteron für Wachstum von Muskeln und Knochen sowie für eine stärkere Körperbehaarung. Es wird in den Hoden gebildet. Die weiblichen Östrogene werden in den Eierstöcken gebildet. Sie enthalten Eizellen, die durch männliche Spermien befruchtet werden können. Zusammen mit Progesteron regulieren Östrogene den weiblichen Zyklus. Im Übrigen sind die Geschlechtshormone schon ab der Zeugung aktiv und sorgen im Mutterleib zunächst für die Ausbildung der primären Geschlechtsmerkmale. Dabei entwickeln sich weibliche und männliche Geschlechtsorgane bei einem Embryo in den ersten Monaten aus denselben Anlagen. Welche sich schließlich ausbilden, bestimmen Gene und wiederum Hormone. Aus den Keimdrüsen bilden sich so entweder Eierstöcke oder Hoden. Aus einem anderen Gewebe entsteht entweder die Klitoris oder der Penis – die deshalb ähnlich aufgebaut sind.