VAA-Delegiertentagung 2022

Digitale Routine in Krisenzeiten

Zum zweiten Mal in Folge hat der VAA seine jährliche Delegiertentagung digital durchgeführt. Als Tagungsleiter vor Ort in der Geschäftsstelle Köln hat VAA‑Vorstandsmitglied Dr. Martin Wolf am 29. April 2022 durch die Veranstaltung geführt. Teilgenommen haben insgesamt 130 Mitglieder aus den Werks- und Landesgruppen des VAA. Zu den Themen auf der Tagesordnung gehörten neben Berichten zur Haushaltslage und zur VAA Stiftung auch die Betriebsrats- und Sprecherausschusswahlen.

„Aufgrund des Digitalformates haben wir die Tagung wie bereits 2021 zeitlich gestrafft und inhaltlich im Vergleich zu einer Präsenzveranstaltung etwas abgespeckt“, berichtet VAA-Hauptgeschäftsführer Stephan Gilow. Innerhalb von drei Stunden seien die für die Verbandsarbeit wichtigen Tagesordnungspunkte besprochen worden. „Durch den parallel eingerichteten Chat war dennoch für ausreichend Interaktion gesorgt.“

„Innovative Formate gehören mittlerweile zum Standardrepertoire der Arbeit im VAA. Ob Rechtsberatungen, Schulungen oder Tagungen: Wir vertreten Interessen auch digital!“

Stephan Gilow, Hauptgeschäftsführer des VAA.

In ihrer Rede ging die 1. VAA-Vorsitzende Dr. Birgit Schwab auf die schwierigen Rahmenbedingungen ein: „Unser Land steht vor der größten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg.“ Deshalb stehe man mit den Sozialpartnern in einem ständigen Austausch – auch über die Auswirkungen eines möglichen Energieembargos auf die Chemie- und Pharmabranche.

„Wie groß und schwerwiegend die Folgen des Krieges in der Ukraine für unsere Branche auch sein werden: Wir werden auch in Zukunft an den Zielen festhalten, die für uns und unsere Mitglieder wichtig sind. So bleiben Zukunftsthemen wie der Klimaschutz und der Umstieg auf eine erneuerbare Energieversorgung trotz Krieg und Krise aktuelle und große Herausforderungen.“

Dr. Birgit Schwab, 1. Vorsitzende des VAA.

Auf Initiative der VAA-Werksgruppe Bayer Nordrhein haben die Delegierten zudem einen Beschluss zur Nutzung Künstlicher Intelligenz im HR-Bereich gefasst. So soll eine Übersicht der geltenden Rechtslage in Deutschland erarbeitet sowie eine Analyse möglicher Problemfelder für den Verband und seine Mitglieder erstellt werden. „Auf dieser Grundlage werden wir uns als Geschäftsführung gemeinsam mit dem Vorstand und unserem politischen Dachverband ULA an die Politik wenden“, erklärt Stephan Gilow.

Mitbestimmung

Endspurt bei den Betriebsratswahlen

Noch bis Ende Mai 2022 sind in den Unternehmen der Chemie- und Pharmaindustrie die Betriebsräte gewählt worden. Damit befand sich zum Zeitpunkt der Drucklegung des VAA Magazins auch die groß angelegte VAA-Betriebsratswahlkampagne mitten im Endspurt – Zeit für eine letzte Zwischenbilanz. Detaillierte Auswertungen und Analysen gibt es dann – soweit bis dahin vorliegend – vom 8. bis zum 10. Juni 2022 auf der VAA-Konferenz für Betriebsräte in Mainz.

Nach Ansicht von Thomas Spilke, der die Betriebsratswahlkampagne vonseiten der VAA-Geschäftsführung begleitet, hat sich der positive Trend aus dem Frühjahr auch im Frühsommer fortgesetzt. „Kurz vor Ende unserer Kampagne haben unsere Kandidatinnen und Kandidaten in den Betrieben noch einmal richtig Gas gegeben.“ Die Ergebnisse, die dem VAA Magazin zum Zeitpunkt der Drucklegung Ende Mai vorliegen, lassen vorsichtig darauf hoffen, dass die Resultate von 2018 übertroffen werden. 

„Erfreulich ist beispielsweise, dass wir bei B. Braun Melsungen einen weiteren Sitz und sogar eine zweite Freistellung gewinnen konnten“, berichtet Spilke. Ähnliches gelte für Beiersdorf, wo der VAA die Zahl der Betriebsratsmandate über verschiedene Listen von zwei auf fünf erhöht und eine Freistellung gewonnen habe. „Bei der ebenfalls in Hamburg ansässigen Aurubis AG haben wir unsere bestehenden Sitze verteidigt.“ Dies sei angesichts des betrieblichen Wettbewerbs vor Ort ein hervorragendes Ergebnis. 

Zu den zahlreichen Erfolgsbeispielen gehört Boehringer Ingelheim, wo VAA-Listen und VAA-Kandidaten gleich in mehreren Gemeinschaftsbetrieben an verschiedenen Standorten antraten. In einem der Betriebe konnte auch VAA-Vorstandsmitglied Dr. Monika Brink einen der 17 Sitze erringen, gemeinsam mit vier weiteren VAA-Mitgliedern. Im Biberacher Gemeinschaftsbetrieb von Boehringer hat der VAA über die VAA-Liste vier Betriebsratsmandate gewonnen. „Über eine andere Liste sind nochmals drei VAA-Mitglieder dazugekommen“, so Thomas Spilke. „Insgesamt stellt der VAA also sieben von 35 Mitgliedern im Gremium – drei mehr als bisher.“ Ebenfalls sieben von nur 13 Betriebsratssitzen gingen in einer Personenwahl im Gemeinschaftsbetrieb der Tiergesundheit in Ingelheim an VAA-Mitglieder. „Einer der Gewählten ist kurz nach der Wahl in den VAA eingetreten.“

Gute Ergebnisse gibt es aus weiteren Unternehmen zu vermelden. So ist bei der H. C. Starck Tungsten GmbH Jörg Meisen in einer Personenwahl als einziger angetretener AT-Kandidat auf Platz zwei gewählt worden. Die Wahlbeteiligung sei dort mit über 68 Prozent vergleichsweise hoch gewesen. Thomas Spilke erklärt: „Durch die Coronapandemie ist der Wahlkampf vor Ort in den Betrieben erheblich schwieriger gewesen. Deswegen gab es in manchen Betrieben auch Quoten von unter 50 Prozent.“ Bei der Salutas Pharma GmbH in Barleben und Osterweddingen lag die Wahlbeteiligung dagegen bei 67,9 Prozent. „Insgesamt standen fünf Listen zur Wahl – die VAA-Liste hat 18 Prozent der Stimmen gewonnen und damit drei von 15 Sitzen gehalten“, fasst Spilke zusammen. In einer Personenwahl hat Magdalena Szarafin bei der CABB GmbH ihr Betriebsratsmandat ebenfalls verteidigt und ist anschließend für die neue Amtsperiode erneut zur Betriebsratsvorsitzenden gewählt worden. „Auch bei Grace in Worms hat der VAA wieder drei von 13 Mandaten errungen und ein stabiles Ergebnis erzielt“, so VAA-Geschäftsführer Spilke.

In einigen wenigen Betrieben gab es auch Verluste zu verzeichnen. „So lag zum Beispiel die Wahlbeteiligung bei der BASF in Lampertheim zwar bei sehr guten 76 Prozent, aber wir haben dennoch einen Platz verloren und sind nun mit einem Sitz im Betriebsrat vertreten“, so Thomas Spilke. Umgekehrt sehe es bei den BASF-Kollegen in Schwarzheide aus. „Bei einer mäßigen Wahlbeteiligung von rund 53 Prozent haben wir unsere Mandatszahl von drei auf fünf gesteigert.“ In jedem Betrieb gebe es eben eigene Spezifika, sodass die Ausgangslage oft unterschiedlich sei. Am Ende, so Spilke, lohne sich der Einsatz im Wahlkampf aber immer. „Denn so werden die Themen, die für VAA-Mitglieder und AT-Angestellte wichtig sind, überhaupt erst sichtbar.“

Sofern nicht bereits geschehen werden alle Betriebsratsmitglieder aus dem Kreis der VAA-Mitgliedschaft nach Abschluss der Wahlen in den Unternehmen gebeten, sich bei Thomas Spilke zu melden, um die genauen Ergebnisse abzugleichen.

Einkommen von Führungskräften in Chemie und Pharma

Boni in Großunternehmen erneut deutlich rückläufig

Im Vergleich zum Vorjahr sind die Gesamteinkommen bei den außertariflichen und leitenden Angestellten in der chemisch-pharmazeutischen Industrie 2021 um 1,4 Prozent gestiegen. Zu diesem Ergebnis kommt die aktuelle VAA-Einkommensumfrage. Insgesamt betrug das Median-Gesamteinkommen im Bereich des Akademiker-Manteltarifvertrages rund 130.581 Euro. Deutlich rückläufig waren dabei erneut die variablen Bezüge, die im Durchschnitt um 8,6 Prozent zurückgingen. Im Vorjahr waren die Boni bereits um rund 17 Prozent gesunken. Die Fixeinkommen stiegen 2021 hingegen um 2,1 Prozent.

Von den Ergebnissen nicht überrascht zeigt sich Dr. Birgit Schwab, 1. Vorsitzende des VAA und betreuendes Vorstandsmitglied der VAA-Kommission Einkommen: „Unsere aktuelle Umfrage bildet die Einkommensentwicklung des Jahres 2021 ab. Die Bonuszahlungen in diesem Jahr beruhten in aller Regel auf den Unternehmensergebnissen des Geschäftsjahres 2020, in dem der Umsatz der Branche um sechs Prozent eingebrochen ist.“

Bei der Betrachtung der Einkommensentwicklung nach unterschiedlichen Unternehmensgrößen zeigen sich gegenläufige Entwicklungen. Während in großen Unternehmen mit mehr als 10.000 Beschäftigten das Gesamteinkommen insgesamt um 0,6 Prozent sank, stiegen die Gesamtbezüge in kleinen Unternehmen mit weniger als 1.000 Beschäftigten mit 4,8 Prozent deutlich an. In mittleren Unternehmen mit mehr als 1.000 und weniger als 10.000 Beschäftigten lag der Einkommenszuwachs bei 3,0 Prozent. Wie im Vorjahr liegt die Ursache der unterschiedlichen Gesamteinkommensentwicklung in den variablen Bezügen. Denn während in den kleinen und mittleren Unternehmen die Boni um 7,3 beziehungsweise 2,0 Prozent zulegten, sanken sie in den Großunternehmen um 13,8 Prozent. Die Fixeinkommen lagen in Unternehmen aller Größen höher als im Vorjahr, stiegen in den kleinen und mittleren Unternehmen aber deutlicher als in den Großunternehmen. 

Die Auswirkungen dieser Entwicklungen erläutert der Vorsitzende der VAA-Kommission Einkommen Dr. Hans-Dieter Gerriets: „Weil die Einkommen in den großen Unternehmen durch die niedrigen Boni bereits im zweiten Jahr in Folge gesunken sind, während sie in den kleinen und mittelgroßen Firmen nach oben gingen, hat sich inzwischen eine gewisse Angleichung der Gehälter vollzogen. Lag der Unterschied beim Gesamteinkommen zwischen kleinen und großen Unternehmen 2019 im Durchschnitt noch bei 29 Prozent, sind es 2021 nur noch 17 Prozent.“ Gerriets rechnet allerdings nicht damit, dass die Veränderung in voller Höhe bestehen bleibt. „Wenn wir mit der nächsten Umfrage wieder höhere Boni in den großen Unternehmen ermitteln - wovon aufgrund der insgesamt guten Unternehmensergebnisse im Jahr 2021 auszugehen ist – werden sich die Gesamteinkommen wieder stärker auseinanderentwickeln, weil der Anteil der erfolgsabhängigen Bezüge in den großen Unternehmen deutlich höher ist.“

Zur Entwicklung des Gesamteinkommens tragen neben Fixgehalt und Bonus auch die sonstigen Gehaltsbestandteile bei, zu denen etwa geldwerte Vorteile aus Dienstwagen, Erlösen aus Aktienoptionen und Sonderzahlungen gehören. Diese sonstigen Gehaltsbestandteile lagen im Jahr 2021 auf dem Vorjahresniveau.

Das Gesamteinkommen im Bereich des Manteltarifvertrags für Akademiker mit naturwissenschaftlich-technischer Hochschulausbildung betrug im Median 130.581 Euro. Mit 136.926 Euro liegt das Gesamteinkommen bei kaufmännischen Angestellten um 4,9 Prozent höher, das mittlere Gesamteinkommen für Ingenieure mit einer Fachhochschulausbildung mit 126.401 Euro dagegen um 3,2 Prozent niedriger.

Beantwortet haben die Einkommensumfrage 2021 mehr als 4.200 Personen aus zahlreichen Unternehmen der chemisch-pharmazeutischen Industrie, davon rund 500 Teilnehmer aus den Reihen der Gesellschaft Deutscher Chemiker (GDCh), die sich an der VAA-Umfrage beteiligt. Wissenschaftlich begleitet wird die Einkommensumfrage durch Prof. Christian Grund von der RWTH Aachen. Zusammen mit der Auswertung der Ergebnisse im Längsschnitt ergibt sich so ein umfassendes Bild über die Einkommensverhältnisse in der chemisch-pharmazeutischen Industrie in Deutschland. Insbesondere für den Geltungsbereich des Akademiker-Manteltarifvertrages, in den die Mehrheit der Umfrageteilnehmer fällt, lassen sich so sehr detaillierte Aussagen treffen. 

Eine kompakte Auswertung der Umfrageergebnisse ist allen im Berufsleben stehenden VAA-Mitgliedern dieser Ausgabe des VAA Magazins beigelegt worden. Bei der VAA-Geschäftsstelle Köln kann außerdem eine Broschüre mit den ausführlichen Studienauswertungen per Telefon (+49 221 160010) oder E-Mail (info@remove-this.vaa.de) bestellt werden. Ansprechpartner rund um die VAA-Einkommensumfrage ist Christoph Janik.

​​​​​​​Die Kurzfassung der Broschüre zur Auswertung der aktuellen Einkommensumfrage steht eingeloggten VAA-Mitgliedern auf der Mitgliederplattform MeinVAA unter mein.vaa.de im Menüpunkt „Service/Publikationen/Umfragen“ zum freien Download zur Verfügung.

Dr. Christin Kiehle im Porträt

Mit Spaß an der Technik und Freude am Job

Erst die Mitglieder füllen einen Verband wie den VAA mit Leben. Dabei handelt es sich um Menschen mit zum Teil sehr unterschiedlichen Berufsbildern und Lebenswegen. So haben etwa 20 Prozent der VAA-Mitglieder einen ingenieurwissenschaftlichen Hintergrund. Deshalb werden im Laufe des Jahres in einer Porträtserie weitere Ingenieurinnen und Ingenieure aus den Reihen der VAA-Mitgliedschaft vorgestellt, die sich in verschiedenen Karrierephasen befinden und etwas zu erzählen haben. Dieses Mal im Porträt: Dr. Christin Kiehle von der VAA-Werksgruppe B. Braun Melsungen.

Technikaffin war Dr. Christin Kiehle schon immer. „Meine ersten Worte waren ‚Papa‘ und ‚Auto‘“, erinnert sich die gebürtige Dresdnerin. „Zumindest hat mir das meine Mutter einmal erzählt. Jedenfalls habe ich schon als Kind immer versucht, alles auseinanderzunehmen.“ Doch in der Schule hat sie sich zunächst für Mediendesign interessiert. Erst im Fachabitur kam wieder die Technik zum Zuge. „Eigentlich war das ein Zufall, weil kein Platz für Gestaltung frei war. Aber ich habe es lieben gelernt.“ Aufgrund der Liebe ist Christin Kiehle fürs letzte Abi-jahr mit 17 Jahren nach Melsungen gezogen. Zum Maschinenbaustudium mit dem Schwerpunkt Kunststofftechnik ging es dann weiter nach Kassel. „Die damalige Liebe ist zwar nicht geblieben, dafür aber das Studium“, erzählt die Ingenieurin mit einem Lächeln. 

Zupackend, zuversichtlich und zielstrebig, so wirkt Christin Kiehle im persönlichen Gespräch. Mit dieser Einstellung ist sie auch erfolgreich durch das Studium gekommen. „Schon im zweiten Semester habe ich als wissenschaftliche Hilfskraft gearbeitet.“ Familiär bedingt hat sich die angehende Ingenieurin ihren Lebensunterhalt schon früh weitgehend selbst verdient. „In der engeren Familie bin ich die erste, die studiert hat.“ Im weiteren Kreis gebe es einige Mediziner – und natürlich ihren Großvater, der zu DDR-Zeiten Ingenieur gewesen ist. „Mein Opa ist sehr stolz auf mich.“ 

Heute ist Kiehle R&D-Managerin bei der B. Braun Melsungen AG, einem großen Traditionsunternehmen an der Schnittstelle von Medizintechnik, Pharmazie und Chemie – mit einer starken, engagierten VAA-Werksgruppe vor Ort. Doch bereits in den Anfängen der Studienzeit ist Christin Kiehle mit B. Braun in Berührung gekommen. „Medizintechnik fand ich schon damals viel interessanter als Automobilbau.“ So hat sie als Studentin zunächst mit einigen Praktika „reingeschnuppert“, dann schließlich auch mit Vertrag als Werkstudentin. „Dort habe ich auch meine beiden Diplomarbeiten geschrieben“, erzählt Kiehle. „Das war das Äquivalent zum heutigen Bachelor-Master-Studium – ich war im letzten Jahrgang vor der Umstellung.“

Zur Industriepromotion, natürlich begleitet von B. Braun, ist Christin Kiehle jedoch als externe Doktorandin zurück in die Heimat gegangen: an die Technische Universität Dresden sowie als Gastwissenschaftlerin an das Leibniz-Institut für Polymerforschung Dresden. „In diesem Bereich hat die TU Dresden und besonders das Leibniz-Institut einen sehr guten Ruf. Der Bezug zur Heimat war mir wichtig.“ Dort hat die angehende Doktorin an thermoplastischen Elastomeren geforscht und eine Materialrezeptur für einen PVC-freien Infusionsschlauch entwickelt. „Das war Grundlagenforschung, aber wir konnten schon erste Versuche am Produkt durchführen.“ Nach dreieinhalb Jahren ist ihr Doktorandenvertrag dann ausgelaufen, aber das Forschungsprojekt selbst läuft noch weiter. „Ich bin zuversichtlich, dass es irgendwann auf den Markt kommt.“

Erfolgreich in der „Männerdomäne“

Für Frauen sei es im Studium schon schwieriger gewesen, weiß Ingenieurin Christin Kiehle aus eigener Erfahrung. „Bei Professoren mussten wir uns doppelt und dreifach anstrengen, um die gleiche Note zu erhalten wie Männer.“ Zum Start des Maschinenbaustudiums in Kassel war sie als Frau praktisch allein unter Männern. „Glück hatte ich mit meiner Lerngruppe, die aus drei Kommilitoninnen und drei Kommilitonen bestand. Das war super für mich, aber sonst eine absolute Ausnahme.“ Je weiter es voranging mit dem Studium, desto weniger Frauen seien geblieben.

Das Ingenieurwesen ist sehr vielfältig und bietet viele Dinge, die noch unergründet sind. „Da braucht man immer neugierige Menschen.“ Das gelte übrigens für Jungs wie Mädchen. „Um eine gute Ingenieurin zu sein, ist Spaß an Technik die Voraussetzung“, erklärt Kiehle. „Und Technik kann wirklich Spaß machen. Ich selbst bin kunststoffaffin und mir bereitet es wirklich große Freude, wenn ich sehe, wie aus der eigenen Idee irgendwann ein Werkzeug oder ein Produkt gebaut wird.“ 

Kiehles Tipp an heutige Studienanfänger lautet, sich im Studium nicht zu viel vorzunehmen. „Belegt nicht direkt zu viele Fächer und versucht auch, das Studentenleben zu genießen. Das war bei mir selbst damals etwas anders, aber im Rückblick würde auch ich mir mehr Zeit lassen.“ Die ersten zwei bis drei Semester seien wirklich die härtesten – danach werde es leichter. Ein wichtiger Punkt sei außerdem, schon früh Kontakte in Unternehmen zu knüpfen: „Ich hatte durch meine Praktika und die Arbeit bei B. Braun bereits ein gutes Netzwerk, um Dinge zu lösen. Ich kannte die internen Prozesse gut und hatte so auch Vorteile gegenüber externen Berufseinsteigern.“

Berufseinstieg beim Labeling

Neben der Promotion hat sich Christin Kiehle drei Jahre lang ums Design von Verpackungen, Etiketten oder Gebrauchsanweisungen gekümmert. „Da war natürlich auch Drucktechnikwissen als Ingenieurin gefragt, aber zu meinen Hauptaufgaben gehörten Gestaltung und Abstimmung mit den Abteilungen Marketing und Zulassung. Da habe ich meine frühere Leidenschaft für Gestaltung noch einmal ausleben können.“ Doch irgendwann teilte ihr die Chefin im Vertrauen mit: „Christin, ich kann Dir nichts mehr beibringen.“ Es war Zeit, sich zu entscheiden, ob sie weiter Verpackungslabels layouten oder woanders hingehen wollte. „Zu diesem Zeitpunkt war eine R&D-Stelle für Accessories im Bereich CoE-IV-Systems ausgeschrieben. Auf die habe ich mich beworben.

Seit einigen Jahren ist Kiehle nun auf dieser Stelle tätig. „Wir stellen Spritzgussartikel her, zum Beispiel Verschlusskonen, Adapter oder Rückschlagventile.“ Zu ihren Aufgaben gehören unter anderem die Life-Cycle-Betreuung und die Weiterentwicklung der Produkte. Zurzeit geht es jedoch vor allem um die Umstellung auf die neue Medizinprodukterichtlinie, kurz MDR. „Die Neuentwicklung ist weitgehend zurückgestellt, um die vorhandenen Produkte MDR-tauglich zu bekommen.“ Hier sei viel Dokumentation zu überarbeiten und anzupassen. „Bei MDR kann man auch ab und zu neue Seiten am Produkt entdecken.“ Da das MDR-Geschäft etwa 80 Prozent ihrer Zeit in Anspruch nimmt, ist Kiehle froh, wenn die Neuentwicklung 2024 auch wieder anziehen wird. „Das Herz eines Entwicklers ist eben die Entwicklung. MDR ist eher die Pflicht, die Neuentwicklung die Kür.“ Aus Ingenieurssicht sei hinzuzufügen, dass zur Entwicklung natürlich auch die Produktverbesserung gehöre.

Von Anfang an beim VAA

Nicht nur Produkte möchte Christin Kiehle bei B. Braun verbessern, sondern auch die Arbeitsbedingungen. Deshalb ist sie 2016 kurz nach ihrem Berufseinstieg in den VAA eingetreten. Als Werkstudentin und Doktorandin war sie überhaupt nicht im Gewerkschaftsthema drin. „Doch der VAA-Werksgruppenvorsitzende Dr. Martin Wolf lief damals durchs Werk und hat fleißig Flyer verteilt. Da fühlte ich mich direkt angesprochen – und habe mein Engagement seitdem nicht bereut.“ Seit 2020 ist Kiehle zudem im Werksgruppenvorstand und im Vorstand der Landesgruppe Hessen.

Neben dem Engagement in der VAA-Werksgruppe beteiligt sich die Ingenieurin auch aktiv an der Betriebsratsarbeit. „Schon 2018 war ich bei der Betriebsratswahl als Nachrückerin dabei.“ Kurz darauf saß sie dann auch selbst im Betriebsrat. Sehr interessant sei es gewesen, aber schon eine Umstellung. „Auch für meinen Chef“, erinnert sich Christin Kiehle. „Ich hatte anfangs Bedenken, wie es klappt mit der Kommunikation, aber mein Chef hatte mir dann im Jahresgespräch sogar gesagt, dass er mein Engagement super findet.“ Schließlich erhalte sie als Betriebsratsmitglied auch wichtige Infos vorab, die nicht zuletzt für ihre Abteilung wichtig seien.

In diesem Wahlkampf sei es etwas schwieriger gewesen, berichtet Kiehle. „Unsere Hauptklientel ist eher im Homeoffice tätig und da mussten wir auf digitale Werbung umsteigen.“ Im Werk selbst waren außer der Produktions- und Laborbeschäftigten coronabedingt fast keine Leute da. Im Vorfeld der Betriebsratswahlen im Mai sei alles „außer Rand und Band“ gewesen. „Durch einen Standortsicherungsvertrag haben wir Tarifbeschäftigten eine 40-Stunden-Woche, die mir aber oft nicht ausreicht und bei der ich die Grenzen voll ausreize. Da mein Partner auch bei B. Braun in einer ähnlichen Abteilung arbeitet, funktioniert die Vereinbarkeit ganz gut.“ Nun ist die Wahl vorbei und die VAA-Liste bei B. Braun hat erneut erfolgreich abgeschnitten. Auch Christin Kiehle hat ihr Mandat verteidigt. „Ich bin sehr glücklich, aber auch erfreut darüber, dass es jetzt wieder ein wenig ruhiger wird.“

Für die neue Legislaturperiode gebe es im Betriebsrat viel zu tun. „Ich selbst habe einen klassischen Tarifvertrag. Der VAA kämpft aber dafür, dass B. Braun endlich den Akademiker-Manteltarifvertrag vollständig umsetzt.“ Christin Kiehle und ihre VAA-Kollegen im Betriebsrat bleiben dran und arbeiten sich in Gesprächen mit der Geschäftsleitung Stück für Stück voran. 

Mehr Frauen in die Technik

Christin Kiehle ist engagiert – im Job und im Ehrenamt. Und als Frau ist sie eine, die sich durchsetzt – im Studium und im Berufsleben. Zu Recht fordert sie mehr Anerkennung für alle Frauen in einer immer noch männlich geprägten Branche ein. „Im Job merken wir Frauen, dass unser Anteil nach wie vor gering ist.“ Über die Jahre sei er zwar größer geworden, doch gerade bei älteren Vorgesetzten spürten Frauen schon noch deutlich, warum das „Frauenthema“ bis heute so eine Relevanz hat. „Man muss sich als Frau in unserer Branche generell etwas mehr anstrengen, um bei Führungspositionen nicht übergangen zu werden.“ 

Dr. Christin Kiehle möchte helfen, diese Welt aufzubrechen und mehr Frauen in die Technik zu bringen. Deswegen hat sie gemeinsam mit zahlreichen Kolleginnen vor einigen Jahren das Frauennetzwerk „B|WiN“ bei B. Braun gegründet. „Da sind wir mit unserem Vorstand im Gespräch und zeigen kontinuierlich Präsenz.“ So könne man Dinge einfach besser vorantreiben. Und als Ingenieurin weiß Kiehle genau, dass nur Bewegung für Antrieb sorgt.

Frühjahrstagung der Aufsichtsräte

Vom Buy-out zum Carve-out – mit guter Governance

Mitte Mai hat die VAA‑Frühjahrstagung der Aufsichtsräte erstmals seit Beginn der Coronapandemie wieder in Hamburg stattgefunden – im Präsenzformat. An der Tagung haben rund 30 VAA-Mitglieder teilgenommen, die Mandate in Aufsichtsräten von Unternehmen aus der Chemie- und Pharmaindustrie, aber auch aus anderen Branchen innehaben.

Am ersten Tagungstag hat mit Prof. Paul Achleitner ein absoluter Hochkaräter der deutschen Wirtschaft zur Rolle des Aufsichtsratsvorsitzenden referiert. Bereits während seiner im Jahr 2000 übernommenen Vorstandstätigkeit bei der Allianz war der erst Mitte Mai 2022 aus dem Amt des Aufsichtsratsvorsitzenden der Deutschen Bank ausgeschiedene Achleitner in verschiedenen Aufsichtsräten tätig, unter anderem bei Bayer, Daimler und RWE.

Anschließend hat sich Buy-out-Experte Ronald Ayles mit der Rolle von Private Equity in der Chemieindustrie auseinandergesetzt. Das Aufsichtsratsmitglied von Röhm und Caldic verantwortet den globalen Industriesektor Chemie bei Advent International und ist Mitglied des europäischen Investment Committees und seit 22 Jahren im Buy-out-Geschäft tätig. In seiner Karriere hat Ayles über 20 Transaktionen im Buy-out-Bereich und in der Industrie erfolgreich abgeschlossen, darunter viele Carve-outs von größeren Konzernen wie Röhm (Evonik), allnex (Cytec) und Oxea (Celanese und Evonik).

Am zweiten Tagungstag hat schließlich Dr. Arno Probst zum Thema „Aufsichtsrat und Abschlussprüfer – Zusammenarbeit für gute Governance“ vorgetragen. Probst ist unter anderem Leiter des Centers für Corporate Governance und Mitglied des Leadership Teams Deloitte Private. Der Lehrbeauftragte der Leuphana Universität in Lüneburg ist außerdem Mitherausgeber des Handbuchs „Der Prüfungsausschuss des Aufsichtsrates“, das im Sommer 2022 in vierter Auflage erscheint.