Interview mit Ilga Möllenbrink

Warum Zeugnisse noch zeitgemäß sind

Zum Arbeitsleben gehört das Zeugnis nach wie vor als fester Bestandteil dazu. Zwar bevorzugen viele Menschen Empfehlungsschreiben, jedoch gibt ein Arbeitszeugnis weit mehr Auskunft über das Arbeitsverhältnis und die Beschäftigten. Und allen Unkenrufen zum Trotz: Das Zeugnis wird auch heute noch aufmerksam gelesen, bestätigt Ilga Möllenbrink vom Juristischen Service des VAA im Interview mit dem VAA Magazin. Außerdem bringt die VAA-Juristin etwas Licht in den Dschungel der Zeugnissprache.

VAA Magazin: Wann gibt es im Arbeitsverhältnis einen Anspruch auf Ausstellung eines Zeugnisses?

Möllenbrink: Bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer ein Zeugnis auszustellen. Hier gibt bereits § 109 GewO, § 630 S. 4 BGB einen Anspruch.

Hat der Arbeitgeber bei der Erstellung eines Zeugnisses Gestaltungsspielraum?

Es wird grundsätzlich zwischen einem einfachen – hier wird nur über Art und Dauer informiert – und einem qualifizierten Zeugnis unterschieden, wobei letzteres in der Praxis üblich ist, da es darüber hinaus Angaben über die Leistungen und das Verhalten des Arbeitnehmers enthält.

Haben Beschäftigte im laufenden Anstellungsverhältnis die Möglichkeit, ein Zeugnis zu erhalten?

Auf jeden Fall. Ein Zeugnis kann und soll bei einem Vorgesetztenwechsel beziehungsweise Funktionswechsel angefordert werden, wenn eine Entsendung ins Ausland bevorsteht oder es zu Bewerbungszwecken benötigt wird.

Warum ist ein korrektes Zeugnis auch heute noch so wichtig?

In der Regel dient das Zeugnis als Unterlage für eine neue Bewerbung und soll Dritte darüber unterrichten, wie Arbeitgeber die Leistungen und die Beschäftigten selbst bewerten. Zur Beurteilung von Inhalt und Form ist dabei auf die Sicht eines objektiven und unbefangenen Arbeitgebers mit Berufs- und Branchenkenntnissen abzustellen. Dabei gelten die Grundsätze der Zeugnisklarheit und vor allem der Zeugniswahrheit.

Es kommt sicher nicht nur auf den Inhalt, sondern auch auf formelle Aspekte des Zeugnisses an. Was ist hier zu beachten?

Unter dem formellen Aspekt sind einige Punkte zu berücksichtigen. Werden üblicherweise Firmenkopfbögen verwendet, muss das Zeugnis auf einem solchen erstellt werden. Der Arbeitgeber erfüllt den Anspruch des Arbeitnehmers auch mit einem ordentlich gefalteten Zeugnis, wenn es mit der Post versendet wurde. Dabei ist nur darauf abzustellen, dass ein Zeugnis ohne sichtbare Falten kopiert werden kann. Ein Zeugnis darf nicht in einer an ein Schulzeugnis angelehnten tabellarischen Darstellungsform erstellt werden. Das hat jüngst das Bundesarbeitsgericht in seiner Entscheidung vom 27. April 2021 klargestellt.

Wie muss ein qualifiziertes Zeugnis inhaltlich aufgebaut sein?

Nach einem Eingangstext, der den Titel, den Namen, das Eintrittsdatum ins Unternehmen und die Funktion beinhaltet, folgt die Beschreibung des Unternehmens. Sodann werden alle Funktionen mit entsprechenden Zeitabschnitten benannt. Für die zuletzt wahrgenommene Funktion werden die wesentlichen Aufgaben vollständig aufgeführt. Dabei sind die wichtigen Aufgaben zuerst zu nennen. Diese können übersichtlich in einer Punktaufzählung aufgeführt werden oder aber auch in einem Fließtext.

Den meisten Streit gibt es sicher bei der dann folgenden Bewertung der konkreten Beschäftigten. Worauf ist dabei zu achten?

Im Rahmen der Leistungsbeurteilung haben Arbeitgeber die Art und Weise darzustellen, in der die Beschäftigten die ihnen übertragenen Aufgaben erledigt haben. Dies erfolgt anhand von Bewertungskriterien, die beschreiben, wie die zuvor aufgeführten Aufgaben erledigt wurden.

Gibt es Kriterien, die in keinem Zeugnis fehlen dürfen?

In jedes Zeugnis gehört die Bewertung von Fachwissen, Auffassungsgabe, Problemlösungskompetenz, Belastbarkeit, Zuverlässigkeit und Verantwortungsbewusstsein; ebenso wie Einsatzfreude und Einstellung zur Arbeit und natürlich das Verhalten der Beschäftigten.

Fach- und Führungskräfte haben sehr verantwortungsvolle Aufgaben zu bewältigen, denen sicher im Zeugnis auch Rechnung getragen werden muss.

Hier ist anhand der Aufgaben zu prüfen, ob die Planungs-, Organisations- oder Projektmanagementkompetenz zu bewerten ist oder das unternehmerische und strategische Denken und die Kreativität und der Innovationsgeist, wie zum Beispiel bei Laborleitern. Verhandlungsführung und Kommunikationsfähigkeit können gefragt sein. Gibt es Personalführung, dann ist die Anzahl der unterstellten Teammitglieder zu nennen und die Mitarbeiterführungskompetenz zu bewerten. Bei Auslandsbezug die interkulturelle Kompetenz.

Was ist, wenn die Leistungsbeurteilung zu bestimmten Kenntnissen schweigt?

Das Bundesarbeitsgericht hat am 12. August 2008 festgestellt, dass ein Zeugnis keine Auslassung an Stellen enthalten darf, an denen von den Leserinnen und Lesern eine positive Hervorhebung erwartet wird. Dazu gehört beispielsweise die Belastbarkeit in Stresssituationen etwa bei Tageszeitungsjournalisten. Das heißt, dass alle zu erwartenden Kernkompetenzen zu nennen und zu bewerten sind. Fehlt etwas, besteht ein Berichtigungsanspruch für die Betroffenen. Ansonsten können negative Rückschlüsse gezogen werden, was schädlich für den Arbeitnehmer ist.

Wenn einem Arbeitnehmer bestimmte Formulierungen nicht gefallen, gibt es dann einen Berichtigungsanspruch?

Der Arbeitnehmer hat keinen Anspruch auf bestimmte Formulierungen im Zeugnis. Daher ist auch die häufig verwendetet Formulierung für die Gesamtnote „sehr gut“ – „stets zur vollsten Zufriedenheit“ hinzunehmen, auch wenn es streng genommen keine Steigerung von „voll“ gibt.

Was bedeutet die Gesamtbeurteilung?

Nach der Bewertung der einzelnen Kernkompetenzen erfolgt die Gesamtbewertung der Leistungen, die wie eine Klammer die Bewertung abschließt, wie zum Beispiel „stets zu vollsten oder vollen Zufriedenheit“.

Gibt es einen Anspruch auf eine bestimmte Note im Sinne einer Mindestbeurteilung?

Nach der Rechtsprechung besteht zunächst der Grundsatz, dass ein durchschnittliches Zeugnis erwartet werden kann, was im herkömmlichen Sinne der Schulnote „befriedigend“ entspricht. Möchte man eine bessere Note, wie ein „gut“ oder „sehr gut“, so hat der Arbeitnehmer die besseren Leistungen zu beweisen. In der Praxis ist das nicht einfach. Bonusbewertungen können herangezogen werden, geben aber nicht automatisch einen Anspruch auf eine bestimmte Note. Demgegenüber muss der Arbeitgeber darlegen und beweisen, wenn er der Ansicht ist, dass die Leistungen unterdurchschnittlich sind, also von „ausreichend“ über „mangelhaft“ bis „ungenügend“, was in der Praxis aber eher selten vorkommt.

Was können Sie zur Verhaltensbeurteilung sagen?

Die Verhaltensbeurteilung erfolgt im Aufbau des Zeugnisses nach der Gesamtbeurteilung. Auch hier ist aus der Formulierung auf die Note zu schließen. In der Regel erfolgt die Bewertung mit der Formulierung „stets einwandfrei“, was der Note „gut“ entspricht, oder „stets vorbildlich“, also „sehr gut“.

Was ist hierbei noch zu beachten?

Bei der Verhaltensbeurteilung muss eine bestimmte Reihenfolge eingehalten werden. Zunächst ist der oder die Vorgesetzte zu nennen, dann die Kolleginnen und Kollegen, gefolgt von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie Kundinnen und Kunden, wenn vorhanden. Steht der oder die Vorgesetzte nicht an erster Stelle, lässt das auf Probleme mit ihm oder ihr schließen.

Welche Korrekturen kommen hier am häufigsten vor?

Ist die Reihenfolge nicht eingehalten worden, ist das für den Arbeitnehmer schädlich und ebenso zu korrigieren wie beim Fehlen des Zeitadverbs. Dazu gehören „stets“, „jederzeit“ oder „regelmäßig“. Häufig fehlen auch die Mitarbeiter, obwohl Personalverantwortung vorlag. Das ist zu ergänzen.

Haben Sie noch Hinweise für die Schlussformel?

Hier ist zwischen einem Zwischen- und einem Schlusszeugnis zu unterscheiden. Beim Zwischenzeugnis sollte man sich für die erbrachten Leistungen entsprechend der Gesamtnote bedanken und sich auf eine weiterhin erfolgreiche Zusammenarbeit freuen: „Das Zwischenzeugnis wird wegen eines Vorgesetztenwechsels erstellt. Wir bedanken uns für die stets sehr guten Leistungen und freuen uns auf eine weiterhin erfolgreiche Zusammenarbeit.“

Beim Schlusszeugnis spricht man von der sogenannten Bedauerns-, Dankes- und Wunschformel für die Zukunft. Grundsätzlich muss ich aber darauf hinweisen, dass kein Anspruch auf die Schlussformel besteht, so die Rechtsprechung des BAG. Die Praxis zeigt aber, dass die Arbeitgeber immer noch eine Schlussformel verwenden. Wird diese erwähnt, fehlt aber zum Beispiel das Bedauern, so besteht kein Korrekturanspruch. Der Arbeitnehmer ist auf das Wohlwollen des Arbeitgebers angewiesen, dass dennoch eine Korrektur erfolgt. Ansonsten verbleibt nur die Entfernung der gesamten Schlussformel.

Von der Schlussformel zu unterscheiden ist die Aufnahme des Beendigungsgrundes. Fehlt dieser, ist das Zeugnis unvollständig und die Aufnahme kann verlangt werden.

Haben Sie hier noch eine Empfehlung?

Nicht selten ist der Arbeitnehmer der Ansicht, dass sich die Formulierung, das Anstellungsverhältnis ende auf eigenen Wunsch, gut macht. Das hat aber gleich mehrere Haken. Zum einen gilt der Wahrheitsgrundsatz im Zeugnis. Hat man nicht selbst gekündigt, so darf das nicht im Zeugnis stehen. Zum anderen ist es aber auch ungeschickt. Wenn man nicht direkt ein Anschlussarbeitsverhältnis hat, wird sich jeder fragen, warum man das Anstellungsverhältnis von sich aus beendet hat.

Bei Aufhebungsverträgen auf Wunsch des Arbeitgebers heißt es: „Das Anstellungsverhältnis endet im gegenseitigen Einvernehmen“. Wenn dieser vom Arbeitnehmer veranlasst wurde: „… im besten gegenseitigen Einvernehmen“.

War es das mit den Tipps für ein wohlwollend qualifiziertes Zeugnis?

Noch nicht ganz. Das Ausstellungsdatum ist grundsätzlich das Beendigungsdatum des Anstellungsverhältnisses beziehungsweise der Wechsel des Vorgesetzten oder der Wechsel der Funktion et cetera. Das gilt unabhängig davon, ob Korrekturen im Nachhinein erfolgt sind. Wichtig ist auch, dass linker Hand regelmäßig der Vorgesetzte oder ranghöhere Mitarbeiter zu unterzeichnen hat und rechts die Personalleitung.

Was darf in einem Zeugnis nicht erwähnt werden?

Nicht in das Zeugnis aufzunehmen sind einmalige Vorfälle und Umstände, die für den Arbeitnehmer, seine Führung und Leistung nicht charakteristisch sind. Ebenso wenig gehören Angaben über eine Elternzeit oder Zeiten der Erkrankung oder die Mitgliedschaft im Betriebsrat oder Sprecherausschuss in das Zeugnis.

Ein Ratschlag zum Schluss?

Die Zeugnisse immer zeitnah von den Juristinnen und Juristen des VAA prüfen lassen und nicht vergessen, ein Zwischenzeugnis zu verlangen! Viele Hinweise finden VAA-Mitglieder natürlich wie immer in der VAA-Information „Das Zeugnis“, die im Mitgliederbereich MeinVAA unter dem Menüpunkt „Service“ im Unterpunkt „Infobroschüren“ zu finden ist.

Urteil

LAG Köln: Unwirksamkeit erheblich verspäteter Zielvorgaben

Erfolgt eine Zielvorgabe erst zu einem derart späten Zeitpunkt innerhalb des maßgeblichen Geschäftsjahres, dass sie ihre Anreizfunktion nicht mehr sinnvoll erfüllen kann, ist sie so zu behandeln, als sei sie überhaupt nicht erfolgt. Das hat das Landesarbeitsgericht Köln entschieden.

Zwischen einem Arbeitnehmer mit Führungsverantwortung und seinem Arbeitgeber war arbeitsvertraglich ein Jahreszielgehalt vereinbart worden, das sich aus einem Bruttofixgehalt und einer variablen Vergütung zusammensetzen sollte. Deren Höhe sollte sich nach dem Grad der Zielerreichung richten, wobei sich die Zielvorgabe aus individuellen und unternehmensbezogenen Zielen zusammensetzte. Eine Betriebsvereinbarung sah zudem vor, dass die Beschäftigten bis zum 1. März eines Kalenderjahres eine zuvor mit ihnen zu besprechende Zielvorgabe erhalten sollten. 

Im Jahr 2019 teilte der Arbeitgeber den betroffenen Beschäftigten des Unternehmens erst am 15. Oktober konkrete Zahlen zu den Unternehmenszielen, zu deren Gewichtung und zum Zielkorridor mit. Der Arbeitnehmer beendete sein Arbeitsverhältnis zu Ende November und erhielt für das Jahr 2019 eine anteilige variable Vergütung, deren Höhe sich auch nach der Erreichung der mitgeteilten und nicht zu 100 Prozent erreichten Unternehmensziele richtete. Dagegen klagte er, weil nach seiner Auffassung die Unternehmenszielvorgabe durch die späte Mitteilung unwirksam geworden war. Somit hätte seine variable Vergütung so ausfallen müssen, als seien die Unternehmensziele zu 100 Prozent erreicht worden. Das Arbeitsgericht Köln wies die Klage hab, weil aus seiner Sicht die Erreichung der Unternehmensziele durch die Mitteilung noch während des maßgeblichen Kalenderjahres nicht unmöglich geworden war. Eine Unmöglichkeit durch verspätete Mitteilung komme nur bei Individualzielen in Betracht, bei denen der Arbeitnehmer die Zielerreichung im Wesentlichen selbst maßgeblich beeinflussen könne. 

Das Landesarbeitsgericht Köln (LAG) entschied in der Berufung anders und gab dem Arbeitnehmer recht (Urteil vom 6. Februar 2024, Aktenzeichen: 4 Sa 390/23). Das LAG verweist auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG), wonach eine Zielvereinbarung ihre Anreizfunktion nur dann erfüllen kann, wenn der Arbeitnehmer bereits bei der Ausübung seiner Tätigkeit die von ihm zu verfolgenden Ziele kennt. Eine Zielvereinbarung sei somit spätestens nach Ablauf der Zeit, für die ein Arbeitgeber mit einem Arbeitnehmer Ziele zu vereinbaren hat, nicht mehr möglich und der betroffene Arbeitnehmer könne dann Schadensersatz statt Erfüllung verlangen. Nach Ansicht des LAGs war der Zeitpunkt der Unmöglichkeit für die Erreichung der Unternehmensziele in diesem Fall durch die Mitteilung im Oktober des maßgeblichen Kalenderjahres bereits eingetreten, weil bereits mehr als drei Viertel des Jahres abgelaufen waren. Dem steht laut LAG auch nicht entgegen, dass es sich um unternehmensbezogene Ziele handelte, da gerade Beschäftigte auf höheren Hierarchieebenen auf die Erreichung solcher Ziele Einfluss nehmen könnten. Andernfalls sei eine entsprechende Zielvereinbarung grundsätzlich nicht gerechtfertigt. Die Vereinbarung der Unternehmensziele sei somit so zu behandeln, als sei sie überhaupt nicht erfolgt, und dem Arbeitnehmer stehe eine variable Vergütung zu, bei der eine diesbezügliche Zielerreichung von 100 Prozent berücksichtigt ist. 

VAA-Praxistipp

In seiner Rechtsprechung hat das BAG bereits entschieden, dass eine nachträgliche Zielvereinbarung nach Ablauf des maßgeblichen Zeitraums nicht möglich ist. Offengelassen hat das BAG bisher, was gilt, wenn der Arbeitgeber zu einer Zielvorgabe verpflichtet ist, diese aber nicht innerhalb der Zielperiode erfolgt, und ob die Unmöglichkeit der Zielerreichung und der dadurch begründete Schadensersatzanspruch bereits vor Ablauf der Zielperiode eintreten kann. Hier hat das LAG nun entschieden, dass jedenfalls nach Verstreichen von mehr als drei Vierteln des maßgeblichen Geschäftsjahres die Zielvorgabe für die Unternehmensziele ihre Anreizfunktion nicht mehr sinnvoll erfüllen kann und deshalb so zu behandeln ist, als sei sie überhaupt nicht erfolgt. Bei der Berechnung der Zielerreichung war deshalb von einer 100-prozentigen Erfüllung auszugehen.

Dieser Artikel ist erstmals im VAA Newsletter in der Maiausgabe 2024 veröffentlicht worden.

Auf der Mitgliederplattform MeinVAA unter mein.vaa.de stehen für eingeloggte VAA-Mitglieder zahlreiche Infobroschüren zu arbeitsrechtlichen Themen zum Download bereit.