EuGH stärkt Kündigungsschutz schwangerer Arbeitnehmerinnen

27.08.2024 Kategorie:  Urteile und Recht

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Was passiert, wenn einer Arbeitnehmerin gekündigt wird, die zum Zeitpunkt der Kündigung schwanger ist, aber erst nach Ablauf der dreiwöchigen Kündigungsschutzklagefrist Kenntnis von ihrer Schwangerschaft erlangt? Dazu hat der Europäische Gerichtshof ein richtungsweisendes Urteil gefällt.

Nach deutschem Recht kann die Kündigungsschutzklage in einem solchen Fall nur erhoben werden, wenn die Arbeitnehmerin binnen zwei Wochen einen Antrag auf nachträgliche Zulassung der Klage stellt. Dieser Regelung steht dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) das Europarecht entgegen, weil sie Frauen, die von dieser Konstellation betroffen sind, durch die kürzere Frist benachteiligt.

Einer als Pflegehelferin beschäftigten Arbeitnehmerin wurde im Oktober 2022 durch ihren Arbeitgeber gekündigt. Im November wurde bei ihr eine Schwangerschaft in der siebten Schwangerschaftswoche festgestellt, wovon sie ihren Arbeitgeber umgehend unterrichtete. Im Dezember 2022 reichte sie beim Arbeitsgericht Kündigungsschutzklage mit der Begründung ein, dass sie zum Zeitpunkt der Kündigung schwanger gewesen war. Gemäß dem deutschen Kündigungsschutzgesetz muss eine Kündigungsschutzklage innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung erhoben werden. Auch die 14-tägige Frist für einen Antrag auf nachträgliche Klagezulassung hatte die Arbeitnehmerin versäumt. Das Arbeitsgericht legte dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) die Frage vor, ob diese Fristen mit dem Europarecht vereinbar sind. 

Der EuGH entschied: Die deutsche Regelung, nach der Schwangere, die von ihrer Schwangerschaft erst nach Ablauf der Frist für eine Kündigungsschutzklage erfahren, diese nur innerhalb einer kurzen Frist von zwei Wochen nachträglich einreichen können, ist nicht dem Europarecht vereinbar (Urteil vom 27. Juni 2024, Aktenzeichen: C-284/23). Aus Sicht des EuGHs erschwert es die Zweiwochenfrist Arbeitnehmerinnen gerade in der besonderen Situation zu Beginn ihrer Schwangerschaft, sich sachgerecht zu der komplexen Rechtslage beraten zu lassen und gegebenenfalls einen Antrag auf Zulassung der verspäteten Klage sowie die eigentliche Klage abzufassen und einzureichen. Das könne eine übermäßige Erschwernis bei einer Ausübung ihrer Rechte für die Arbeitnehmerinnen darstellen. 

VAA-Praxistipp

Der EuGH hat mit seinem Urteil den Kündigungsschutz für schwangere Arbeitnehmerinnen gestärkt. Das Arbeitsgericht muss nun prüfen, ob die Zweiwochenfrist für den Antrag auf nachträgliche Klagezulassung im vorliegenden Fall eine übermäßige Erschwernis für die Arbeitnehmerin mit sich gebracht hat. In seinen Entscheidungsgründen hat das oberste europäische Gericht allerdings bereits deutlich gemacht, dass es davon ausgeht. Unklar ist noch, welche Fristen in solchen Fällen künftig zu beachten sind. Möglicherweise kann die allgemeine Dreiwochenfrist für Kündigungsschutzklagen entsprechend angewendet werden.

Dieser Artikel ist erstmals im VAA Newsletter in der Augustausgabe 2024 veröffentlicht worden.

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